Josh Houtkin & Dave Pianka

„Fixed“ in New York

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Josh Houtkin & Dave Pianka (Photo by Jonathan Forsythe)

An diesem Montagnachmittag im September könnte man fast vergessen, dass der Brooklyner Stadtteil Williamsburg schon weit über das Ende der subkulturellen Welt hinuntergekippt ist. Ab und an sieht man man am nahen Horizont Menschen zur Fähre nach Manhattan sprinten oder sie – merklich entspannter – auf umgekehrten Weg wieder verlassen, und kurz rennt ein Hund mit dranhängendem Herrchen an uns vorbei, ansonsten aber haben Josh Houtkin und ich den sonst immer überfüllten East River State Park für uns. Die ungeheure Kraft der spätherbstlichen Sonne hat uns hierhin getrieben, um über die Nullerjahre des New Yorker Nachtlebens zu sprechen, die Houtkin und sein Partner Dave Pianka mit ihrer Party-Reihe „Fixed“ maßgeblich mitgeprägt haben.

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Josh Houtkin & Dave Pianka (Photo by Jonathan Forsythe)

Doch bevor man sich 2017 in den USA zu kulturellen Themen äußert, kommt man nicht umher, sich politisch zu positionieren. Zuviel Irres kreist über dem Land. Josh Houtkin nimmt einen Schluck Kaffee und lässt seinen Gedanken zur Lage der Nation freien Lauf: „Die Hälfte Amerikas schätzt die Idee zu teilen so gar nicht. Für sie ist Sozialismus eine schlechte Sache. Zum einen, da sie nicht gut informiert sind, aber auch, da sie Egoisten sind. Mal ehrlich: Wie kann man als Mensch anderen nicht helfen wollen? Wie kann man es akzeptieren, dass sie keine Krankenversicherung haben?“

Wir nicken uns stumm zu. Man kann schon leicht schlecht drauf kommen, wenn man über den Status Quo dieses Landes reflektiert. Aber man muss es auch nicht. Denn noch immer gilt: Das Land ist groß und vielschichtig, und es gibt mindestens ebenso viele Menschen, die nicht an anachronistischen Weltbildern und archaischen Verhaltensmustern kleben, wie jene, die den falschen Geistern glauben schenken. Und so mag es sich wie eine sehr triviale Überleitung lesen, aber dem Nachtleben und seinen Protagonisten kam schon immer eine elementare Rolle in der Revitalisierung von Menschen für den Kampf gegen das Böse zu. Die Tanzfläche als Ort, an dem sich scheinbar getrennte Klassen und Ethnien vereinen und von diesen seltsamen Zuschreibungskonstrukten frei machen können. Eine Utopie, für deren Umsetzung die beiden Freunde Josh Houtkin und Dave Pianka wie geschaffen sind mit ihrem Sozialisations-Background in der DIY-Subkultur der 1990er Jahre.

Die Beziehung offiziell machen

Josh Houtkin ist im März 2011 nach New York gekommen, ein paar Monate bevor 9/11 die Stadt für immer verändern sollte. Urspünglich in San Antonio, Texas aufgewachsen, flirtete er kurz mit Austin (wo er auf College-Partys aufzulegen begann) und Los Angeles als neuer Heimat, bevor es ihn nach New York und in eine WG mit seinem alten Texanischen Freund Will Burns (ebenfalls DJ und Produzent) zog. Der Zeitpunkt war ideal. Das Nachtleben der Stadt lag brach. Es fehlte an kleinen Clubs und Partys, die den neuen Geist der lokalen Postpunkdisco, den revitalisierten europäischen (Minimal)-Techno und die DIY-Tradition zu vereinen wusste.

000000260010Schnell lernt er über die gemeinsamen Freunde Soulwax beim Auflegen Dave Pianka kennen, der bereits zu diesem Zeitpunkt unter seinem Signet Dave P eine Art subkultureller Don seiner Heimatstadt Philadelphia ist. Wie das oft so geht, führt ein gemeinsames Set zum nächsten und es dauert nicht lange, da ist Houtkin ein Resident bei Dave Ps „Making Time“-Partys in Philadelphia in Locations wie dem Delphin und Morgans Pier, und die beiden beginnen gemeinsam, auch New York und Festivals wie das SXSW in Austin und die Winter Music Conference in Miami zu bespielen. „Irgendwann wollten wir unsere Beziehung offiziell machen und starteten Fixed als gemeinsame Heimat“, erinnert sich Houtkin an die Geburtsphase jener Partyreihe, die jüngst 13. Geburtstag feierte und die New Yorks Nachtleben der vergangenen Dekade, das kann man so hochtrabend formulieren, entscheidend zum Besseren gewendet hat.

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Sneaking into the Dave P collection (Photo by Jonathan Forsythe)

„Wir begannen mit Events im Keller des Tribeca Grand Hotel. Wenn 100 Leute kamen, waren wir oft schon glücklich. Damals konnten wir noch nicht einmal Eintritt verlangen!“ Mussten sie auch nicht, denn dank der Rückendeckung des Hotelpromoters und dem Sponsoring von Getränkemarken konnten sie auch so ein Lineup buchen, das nicht nur damals seinesgleichen suchte: The Rapture, LCD Soundsstem, The XX, Bloc Party, Hot Chip, um nur einige zu nennen, die damals im Monatstakt bei Fixed gastierten. Rückblickend muss selbst Josh Houtkin lachen, wen sie alles zu Gast hatten. „Es ist verrückt, wie sich alles seit damals verändert hat. In jenen Tagen spielten die Leute tatsächlich für ein paar Hotelnächte für uns. Heute müssten wir irrsinnige Summen für sie ausgeben – wenn wir sie überhaupt noch bekommen würden.“

New York wieder cool machen

Doch Houtkin ist niemand, der „Früher war alles besser“-Töne anschlägt. Er reiht sich nicht in das Meer der klagenden alternden Kulturschaffenden ein. „Wenn man mich fragt, war die Musikszene der Stadt noch nie so gut wie derzeit“, kommentiert er den Status Quo hingegen offensiv positiv. „Die Szene ist einen sehr guten Zustand. Es gibt genügend Orte und Partyveranstalter.“ Die eigene bedeutende Rolle auf dem Weg dahin, spielt er bescheiden runter, obwohl er auf Nachfragen schon bestätigt, dass sie oft auch Lehrgeld für ihre (über)ambitionierten Bookingideen bezahlen mussten. Aber da seien sie ja nicht alleine. Das ginge den ganzen cool kids da draußen doch auch so, die so hart in ihren DIY-Strukturen arbeiten. Als Konkurrenz sehen Dave Pianka und er diese übrigens nicht, merkt er an. „Ich glaube, dass mehr Angebot der Szene zugute kommt. Wenn überhaupt, dann regen die anderen mich dazu an, mich noch mehr anzustrengen.“ Dem Vorurteil, dass es in Städten wie New York oder London gar kein „gemeinsam“ unter den kulturellen Akteuren geben kann, hält er entgegen, dass die Wiederbelebung des New Yorker Nachtlebens doch nur durch ein solches Kräftebündeln möglich gewesen sei „Früher war New York das Reiseziel schlechthin für Leute, die eine gute Zeit haben wollten. Dann flogen lange alle nach Berlin zum Ausgehen – das tun sie noch immer, aber sie kommen vermehrt aber auch wieder hierher. Dass es nun passiert, ist keine Selbstverständlichkeit und hat viele Gründe: Clubs wie das Output, die Geld in ein gutes Soundsystem und ansprechendes Booking investieren, aber eben auch Underground-Promoter, die, da sie oft an illegalen Orten ihre Partys organisieren, viel riskieren.“

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Josh Houtkin & Dave Pianka (Photo by Jonathan Forsythe)

Dass man Josh Houtkin so gerne bei seinen Ausführungen zuhört, liegt nicht zuletzt an seiner Fähigkeit, das Gesamtbild zu transportieren und eben nicht nur die eigene kleine Weltsicht. Und so wundert es auch nicht, dass er sich aktuell viele Gedanken über die Folgen der Gentrification macht, die seinen Stadtteil Williamsburg so vehement überrollt hat wie noch nie einen Stadtteil in der Geschichte New Yorks. Fuhr noch Anfang der Nullerjahre kein Taxi einen potentiellen Partygast rüber über den East River in die damals kaum beleuchtenden Straßen des Viertels, so muss man heute ein teures Über nehmen, um nach dem Ausgehen in Williamsburg noch nach Bushwhick oder noch weiter raus Heim zu fahren. Denn immer weiter in dieses „raus“ mussten die Freunde von Josh Houtkin und Dave Pianka zuletzt ziehen. „Wir haben viele unserer Leute verloren, , da sie es sich nicht mehr leisten können, hier zu leben“, kommentiert Josh Houtkin. Er weiß, wovon er spricht. Neben Fixed arbeitet er hauptberuflich als Booker des Good Room Clubs. Der Club auf der Meserole Avenue in Williamsburg bietet in seinen zwei Räumen bis zu 600 Konzert- und Clubbesuchern Platz. Seit der Eröffnung 2014 spielten hier unter anderem Octa Octa, Jennifer Cardini, Kim Ann Foxman and Kyle Hall. Trotz des zunehmenden Druckes, den die steigenden Kosten bedeuten, ist man bemüht, einen für das jüngere Publikum attraktiven Warehouse-Vibe zu transportieren. So wird viel Wert auf einen entspannten und fairen Umgang mit den Gästen gelegt. „Die Drinks kosten 5$ und der Eintritt sollte die 20$ Eintritt nicht überschreiten“, führt Houtkin aus. „Wir versuchen die Lebensrealitäten der Besuch im Blich zu bewahren. Selbst das ist doch schon viel für die Kids, denn sie müssen ja noch mit der Subway oder dem Taxi her- und wieder heimkommen.“
Houtkin betont, dass viel dazu gehöre, einen Clubbetreiber zu finden, der das versteht. Zumal das erste der Beginn der notwendigen Überzeugungskette ist: „Und dann muss man ja noch die Agenten überzeugen, dass man eben nicht ein Superclub ist, der dementsprechende Kapazitäten besitzt und immense Gagen und Hotel- und Flugforderungen zahlen kann.“ In den Diskussionen, die das mit sich bringt, wiegt seine Erfahrung schwer. „Nach 15 Jahren als lokaler Veranstalter kann ich mit 99% Sicherheit zuverlässlig vorhersagen, was ein Künstler an der Tür wert ist.“

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Josh Houtkin & Dave Pianka (Photo by Jonathan Forsythe)

Viel weirdes Disco-Zeug

Josh Houtkin und Dave Pianka sind nicht nur engagierte Partyorganisatoren und Booker, sondern selbst hervorragende Djs. In ihren Sets vereinen sie die Traditionen amerikanischer Dancemusik zwischen den Polen Techno und Disco mit Postpunk, Indie und dem gesamten Spektrum elektronischer Musik aus Europa. Wie bei so viele DJs ihrer Generation der Frühsiebziger spielt Vinyl dabei eine zentrale Rolle. „Ich habe es so lange wie nur möglich hinausgezögert mit anderen Medien aufzulegen“, berichtet Houtkin. „Die gesamte Laptop-Serano-Phase ließ ich an mir vorbeiziehen, und auch die CDJs, aber dann hat es mich doch noch digital erwischt. Und das kam so: Wir waren mit Soulwax auf Tour als Support-Djs in Südfrankreich als Dave, der immer auch ein paar gebrannte Cds dabei hatte, ausfiel und ich alleine auflegen musste. Als dann einer der zwei Plattenspieler ausfiel, blieb mir nichts anders, als in Feedback reinzumischen. Problematisch. Die Leute begannen mich auszubuhen und der Tourmanager kam genervt an und fragte, ob ich denn keine Cds dabei hätte. Ein sehr beschämender Moment.“
Seitdem sei er immer mehr auf digital umgeschwungen, gesteht Houtkin. Aktuell sei das Verhältnis 90 zu 10. Auch da er viele Promos nur noch digital bekommen würde und selbst mittlerweile viel auf Bandcamp digital shoppt. Für ihre regelmäßigen 6-Stunden-Sets bringen die beiden aber noch immer jedes Mal einen großen Berg an Platten mit, da sie dann „viel weirdes Disco Zeug spielen, das wir nur auf Platte haben.“
Generell sieht Houtkins eine absolute Wiederkehr von Vinyl in den Sets der Gast-Djs bei Fixed und im Good Room. „Es ist wieder cool, mit Vinyl aufzulegen. In New York kann man es nun wieder wagen, mit Platten aufzulegen. Die meisten Bars und Clubs haben gute Set-Ups, wo es keine springenden Nadeln und Feedback gibt. Ich persönlich habe mittlerweile keine Präferenz mehr, für mich ist beides okay. Aber mir gefällt es schon gut, dass vor Allem die Techno Kids Vinyl als cool empfinden. Sie fühlen wie ich vor 20 Jahren.“

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Josh Houtkin & Dave Pianka (Photo by Jonathan Forsythe)

Wer säuft, der läuft

Wobei es für Josh Houtkin absolut keinen Grund gibt, sich alt zu fühlen. Im Gegenteil, er gehört zu den fittesten Personen, die man sich vorstellen kann. Wer die Aktivitäten von Josh Houtkins auf Facebook und Instagram verfolgt, der weiß, dass er ebenso häufig von seinen morgentlichen Läufen postet wie über Dj Sets. Das Laufen ist seit Kindheitstagen ein elementarer Bestandteil seines Lebens. „Ich habe in der High School mit dem Laufen von Rennen angefangen“, erinnert er sich. „Aber als ich dann vermehrt auf Punkrock Konzerte ging, ließ das nach. Nicht, dass ich es bereuen würde, ich hatte viel Spaß auf den Shows, und als Ausgleich spielte ich zumindest ein bisschen Basketball. Vor fünf Jahren bin ich dann aber zurück zum Rennen gekommen und war selbst überrascht, wie leicht ich wieder im Trott war. Das Leben, das wir fühlen, ist nicht immer das gesündeste. Ich bin jetzt 40. Ich habe eine Persönlichkeit, die zur Sucht neigt – das gilt für das Nachtleben wie das Laufen. Ich bin da gar keine Ausnahme im Nachtleben. Wenn ich die Freitag Nacht im Club verbringe, renne ich zum Ausgleich am Sonntag. Ich renne übrigens ohne Musik, zumeist früh morgens und meistens über die Wiliamsburg Brücke nach Manhattan und zurück.“
Sein Partner Dave Pianka mag den Ruf des wildesten Nightlife-Crooners der USA haben, aber selbst in ihm würde ein versteckter Leistungssportler schlummern, offenbart Houtkins. „Er war im College ein fantastischer Läufer – und ist noch immer überraschend gut in Form. Wenn ich ihn mal dazu bewegen kann, mit mir zu rennen, dann staune ich jedes Mal.“ Und liefert sofort die Erklärung hinterher: „Laufen ist eine mentale Sache. Jeder kann raus gehen und ein Rennen laufen, sogar einen Marathon. Man muss nur durch die Blockade durchkommen. Menschen können rennen. So einfach ist das.“

000000260011Auf meine Frage, ob er denn nie des Nachtlebens und all des Stresses, der dran hängt, überdrüssig würde, antwortet Josh Houtkin: „Auch wenn es seltsam klingt: Ich mag die Plagerei und Hetze.“ Was aber nicht heißen soll, dass er nicht gewisse Modifikationen für die Zukunft im Visier hat: „Mein Ziel is es auf lange Sicht, einen eigenen Club zu haben“, eröffnet er mir. „Ich lerne stetig dazu, und so langsam sehe ich den Horizont dafür. Mit 50 sehe ich mich nicht mehr hinter dem Pult, ich will dann lieber den Jüngeren einen Ort bieten, wo sie ihre Ideen umsetzen können. Aber erst mal muss ich das Geld zusammenkriegen oder Investoren finden.“


Der Beitrag wurde ursprünglich für das Magazin Vinyl Stories verfasst, das jedoch leider vor Abdruck der Geschichte zu Jahresbeginn 2018 eingestellt wurde.
Mein Dank gilt Guido Neuhaus, den ich als sehr engagierten Herausgeber von Vinyl Stories kennen und schätzen lernen durfte. 

 

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