Pisse

Schlimmste Interview der Nachkriegsgeschichte

Okay, jetzt mache ich es doch. Ich höre das fast einstündige Interviewmaterial aus einer Nacht im Spätsommer ab. Zusammen mit Martin von den Shitlers haben wir eine Punkband of a lifetime vors Mikro gezerrt. Es war nicht leicht – und das ist echt nicht dahingesagt! Pisse lassen sich auf Bandfotos oder Youtube-Clips doubeln – und gewöhnlich auch bei Interviews. Doch das geht in dieser Nacht schlecht, denn wir haben sie gestellt, als sie von Bühne des Kölner Gebäude 9 kommen. Also geschieht es. Der Mensch im Konflikt mit Pisse!

Das Gespräch, das der ebenfalls anwesende Marko Fellmann für Kopfpunk mit ihnen führte, habe ich im Vorfeld gelesen. Und bedauert! Wie konnte man sich nur so verarschen lassen? Da weiß ich allerdings noch nicht, was mir selbst gleich blühen wird. Dagegen war Fellmanns Talk noch pures Gold. Wo Obelix (West-Referenz) als Kind in den Zaubertrank gefallen ist, lagen die Mitglieder von Pisse im Säurebad. Aber irgendwie, irgendwie wird es trotzdem geil, also diese Nacht. Trotz oder auch wegen des defekten Interviews. Nieder mit auskunftsfreudigem Dienstleistungpunk. Hier sind Pisse.
Ach so, ich muss ja vorausschicken, warum ich dieses Date nun doch noch (zumindest in Auszügen) aus dem Giftschrank hole. Pisse haben ein Video veröffentlicht (sogar ohne ihren verdammten Namen dazu zu schreiben!). Zu einem ihrer Songs aus der aktuellen Platte “Mit Schinken durch die Menopause”. Und zwar zu “Work Life Balance”, natürlich ein Song unter 2 Minuten, klar. In kürzeste Zeit finden sich hier dennoch ganz große Zeilen gepackt.

Und zwar:
“Präsentkorb, Blumenstrauß, Burn-Out, Irrenhaus – Work, Life, Balance”
“Mit der Achterbahn zur Arbeit fahr’n – Work, Life, Balance”
“Ich zieh ‘ne Line Crystal Meth aus dem Arschloch von meinem Chef – Work, Life, Balance”

hunde

ES HILFT JA NIX!
Es hilft ja wirklich nichts. Wer hier noch dran ist, soll es auch kriegen. Einen Einblick in jenes Interview mit Pisse auf dem Parkplatz des Gebäude 9. Die Stimmen und Namen der Band gehen durcheinander, auf viel anderes außer Anonymität scheinen sie eh selbst keinen Bock zu haben, also gebe ich der Einfachheit halber alle Wortbeiträge der vier unter dem Sammelnamen Pisse an. Sänger und Gitarrist Richard (?) hatte übrigens erst versucht, bei mir unter dem Namen Ronny (!) durchzukommen. Vermutliche Identitäten in der Gruppe: Hanni (Theremin), Richard (siehe eben), Zappel (?) und noch einer. Naja, ich sag mal: Enjoy…

Kurz hatte ich Kontakt zu Euch bekommen, weil einer eurer Freunde fahrlässigerweise jemand auf einem Facebook-Foto markiert hatte. Dann ging es kurz hin und her, ich habe gesagt, dass ich ein Interview machen möchte, dann habe ich nie mehr was gehört. Kann es sein, dass ihr mit der Band diese Punk-Verweigerungshaltung wirklich ernst nehmt?
Pisse: „Ich mich erstmal gefragt, wer is’n Linus Volkmann?“
Anderer Pisse: „Jo, mir schreiben halt total viele Leute. Ich wollt‘ dich einfach erstmal an der Angel halten.“

20150822_230928_resizedKETTENFETT vs. PFEFFI / OSSI vs. WESSI
Ihr habt jetzt erstmals Kettenfett getrunken, eine Kölner Spezialität. Wie war es?

Pisse: Richtig räudig!
Ihr kommt ja aus dem Osten, wie würdet ihr den Geschmack im Vergleich mit Pfeffi einordnen.
Pisse: Auch als scheiße!
Anderer Pisse: Niemand, der nicht 14 ist, trinkt Pfeffi. Und niemand im Osten trinkt Sternburg. Mein Dönermann sagt das auch, wenn einer in seinen Laden in Leipzig-Lindenau kommt und Sterni und Pfeffi bestellt, dann weiß er sofort, das sind Wessis!
Ich war öfters mal auf Lesungen im Osten und musste mich hart in die Gunst der Leute saufen – und dafür wurde mir immer Pfeffi gereicht.
Pisse: Die haben dich alle verarscht!
Anderer Pisse: Pfeffi schmeckt wie Zähneputzen und welcher Punk putzt sich schon die Zähne!
Ey, und was soll man als Wessi sonst bestellen, wenn man bei euch vor Ort so tun will, als gehöre man dazu?
Pisse: Nix!
Anderer Pisse: Becks!
[Alle lachen]
Pisse: Die Großstädte im Osten sind total verwestelt. Nur noch Wessis, die da hinziehen.

20150822_232139_resizedWEGEN DER KOMISCHEN INSTRUMENTE-SITUATION NOCHMAL
Jetzt sagt doch einfach mal, warum ihr die Bandkonstellation Gitarre, Kein Bass, Synthie, Schlagzeug und Theremin gewähnt habt.
[Keine Antwort]
Der Typ mit dem Theremin, der hat es nicht leicht in der Bandszene, den müssen wir mal mitmachen lassen – habt ihr euch das gedacht?
Pisse: Ey, ich brauch‘ dein Mitleid nicht!

 


DER NACKTE
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Kann es sein, dass Hanni auf dem Frontcover als Scheidenpunk posiert?
Pisse: Hast du gerade Scheidenpunk gesagt?
Ja.
Pisse: Aha, bei uns heißt das Manngina.
Anderer Pisse: Nee, das ist Johnny Kot [oder Kurt?]. Ein geiler Typ. Aber er hat wirklich einen widerlichen Penis.
Pisse: Wir sollen dann das nächste Mal nackt auf seinem Cover sein.

DROGEN
Pisse: Ein Kumpel hat mal Ritalin genommen und das hat seine Persönlichkeit sehr verändert. Deshalb habe ich Angst da vor. Grüße!

HOMMAGE AN LINUS VOLKMANN 
Pisse: Der nächste Song gegen Brillenträger geht nur gegen Dich!

ALSO NOCH MAL WEGEN DER TEXTE
Also noch mal wegen der Texte…
Pisse: Ey, über die Autorenschaft von Texten in der Postmoderne brauchen wir hier doch jetzt nicht zu reden!
Natürlich nicht. Wo denkt ihr hin. Oder vielleicht doch ein bisschen?
Pisse: Irgendeiner hat ‚ne Idee und dann sagt noch einer was und dann passt das.
Ey, ich hänge auch viel mit Trotteln ab und jeder sagt was, aber da kriegen wir keine Platte mit gefüllt.
Pisse: Können wir ja jetzt auch nichts zu!
Da muss doch irgendein Geheimnis dabei sein, das könnt ihr uns doch einfach mal sagen.
Pisse: Mixery, Kiffen, Crystal Meth!

POST-IRONIE feat. MARTIN SHITLER
Martin Shitler: So ein Song wie „Biertitten“, das ist ja eine Provokation von politisch korrekten AZ-Linken.
Pisse [lallt]: Wir sin‘ ja die politisch Korrekten!
Martin Shitler: Nee, seid ihr nicht. Ihr beobachtet die und verarscht die auch ein bisschen.
Pisse: Ich find ja nicht, dass man so über Punkrock reden sollte!
Linus: Ihr macht da die Meta-Ebene selbst auf. Können wir doch halt mal drüber reden.
Martin Shitler: Das sagen die nicht, sonst fliegen sie ja auf.
Pisse: Da muss man 2000 Jahre [unverständlich] erstmal aus den Leuten rauskriegen!
Linus [lallt] Gott, wie ich Pisse hasse!
Pisse: Ja, was sollen wir denn machen? Alter, ich spreche in ein Telefon!
Linus: Das hat eine Diktierfunktion. Das ist der beste Augenblick in deinem Leben!
Pisse: Also gut: Du beobachtest was, darüber schreibst du ein Lied. Ist es denn so schwer zu kapieren?

20150822_232116_resizedNEUE SZENE IN DER NERVENHEILANSTALT
Pisse: Im Osten gibt es hundert Bands wie Pisse.
Martin Shitler: Das stimmt doch nicht.
Pisse: Kannste doch gar nicht wissen! In Berlin allein, da findest du Millionen Bands, die so 80er Sachen machen, bisschen Hans-A-Plast, bisschen Schleimkeim, bisschen Synthesizer.
Martin Shitler: Nein, das ist neu, das ist postironisch!
Pisse: Nö! Ey, ich kann’s euch beweisen, ich schick euch ’nen Ordner. [kam bis heute nicht an. Anmerkung]
Martin Shitler: Wie sollen die denn heißen?
Pisse: P.U.F.F., Strami Boys, The Toilets [Schreibweise: Vermutungen. Alles beim Googeln nicht gefunden].

20150822_230940_resizedDER TEIL WO SICH ÜBER DIE STUDIOZEIT MIT BREZEL GÖRING AUSGETAUSCHT WIRD
Pisse: Wenn du findest, unsere Aufnahmen hören sich scheiße an – dann will ich dir sagen, wir wollen klingen wie auf Kassette!
Martin Shitler: Das habe ich doch gar nicht gemeint!
Pisse: Brezel [Göring] hat eine App von Jamba, dass alles fett vintage klingt!
Martin Shitler: Krass, schon zwei Uhr.
Linus: Jetzt läuft’s, jetzt sind sie langsam müde, jetzt kriegen wir vernünftige Antworten.

Martin Shitler: Wenn man was gesagt hat, muss man es auch machen!
Pisse: Ich habe das [?] nicht gesagt!
Anderer Pisse: Doch hast du. Spul das Band zurück, ich will noch mal hören, was eben war.
Linus: Reißt euch doch endlich zusammen! Irgendwer muss den ganzen Mist morgen noch abtippen! [Naja, nicht ganz Morgen… Aufnahme datiert vom 23.August. Anmerkung] Konzentriert euch endlich.
Martin Shitler: Ich möchte echt, dass du das abtippst.

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Martin schreibt während des Konzerts eine SMS an Rüdi von Pogoradio. Nein, diese modernen Kids heutzutage!

SCHEISS DDR
Linus: So, zu eurem Song „Scheiß DDR“. Für mich seid ihr vom Alter her so eine Art Kinder…
Pisse: Spinnst du? Wann bist du geboren?
Linus: 1956
Ja, dann kann’s wohl hinkommen.
Linus: Hältst du mich echt für fast 60?
Pisse: Ey, wenn Du’s doch gesagt hast?!
Linus: Also, „Scheiß DDR“, ich will sagen, ihr habt das doch gar nicht miterleben können bewusst.
Pisse: Damit ist gemeint “Scheiß Hoyerswerda”. Was 1991 dort passiert ist!
Linus: Wie alt wart ihr denn da?
Pisse: 1
Anderer Pisse: 3
Linus: Aha, aber selbst 1991 war das ja schon nicht mehr DDR.
Pisse: Es geht eher darum, was das alles in den Erinnerungen der Leute bedeutet – und wie sich eine Stadt komplett ihrer Schuld entzieht dabei. Das Lied ist entstanden zu den Feierlichkeiten von 25 Jahre Mauerfall letztes Jahr, oder so. Wo sich da alle als Widerstandskämpfer inszeniert haben. Ekelhaft. Es geht um Wolf Biermann und wie heißt dieser Zauselbart aus Berlin?
Anderer Pisse: Wolfgang Thierse.
Pisse: Genau, es geht um Wolf Biermann und Wolfgang Thierse.

[Hey, eine zurechnungsfähige Antwort! Herrlich. Das macht die 45 Minuten Lallen und Teasen vorher auf jeden Fall wett. Na, nicht wirklich. Aber damit gehen wir hier mal raus aus dem Partykeller unter freiem Himmel. Pisse-Interview summer 2015. Ich war dabei. Gern wieder. Obwohl nächstes Mal schicke ich lieber eine Veretretung. Love Pisse, hate faschism!]

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Yours truly, die beiden Field-Reporter des Deutschpunks. Martin Shitler und Linus Volkmann

 

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