Leben (und Sterben) nach der Musikindustrie: Eric Wrede

„Du kannst doch nicht wirklich Bestatter werden… das ist absurd!“

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Eric Wrede (Photo: Jule Müller)

An der Seite von Tim Renner erlebte er bei Motor Music die familiäre Variante der Musikindustrie. Und doch merkte Eric Wrede, wie sich sein Musikhören veränderte und plötzlich eine bis dato nicht gekannte Kategorie wie „verkäuflich“ eine Rolle zu spielen begann. Mit ein Grund dafür, warum er irgendwann keine Erfüllung mehr fühlte und es ihn drängte, einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen – als alternativer Bestatter mit seiner Firma Lebensnah Bestattungen . Auch wenn dies sicherlich nicht immer ein leichter Weg war und ist, so spürt er doch eine große Entspannung, nicht mehr Teil des gehetzten Hamsterrades Musikindustrie sein zu müssen.

Eric, wie bist du zur Musikindustrie gekommen?
Eric Wrede: Die Geschichte ist schön. Ich hab neben dem Germanistikstudium in einem Schallplattenladen in Berlin gearbeitet – das Geld floss also immer gleich in neues Vinyl. Beim Auflegen eines Abends hat ein sympathischer älterer Herr bei den noch unbekannten The Killers laut mitgesungen. Nach einer kurzen betrunkenen Unterhaltung über die Musikindustrie, erklärte mir Botsch (Matthias Böttcher, früher Universal, heute Rough Trade), dass ich mir das Theater doch mal von der anderen Seite anschauen und nicht so eine große Klappe haben soll.
Sein Freund Tim Renner (ich hatte keine Ahnung, wer das ist), mache gerade eine neue Firma namens Motor auf und ich solle mich doch mal da melden. Gesagt – getan. Ich wurde Praktikant, anfänglich unterbezahlter Angestellter und dann kamen irgendwann auch die ersten Erfolge mit Polarkreis 18, Selig und Bodi Bill. Ich habe die Jahre bei Motor mehr als genossen. Wir waren ja nie Musikindustrie, sondern immer eher ein kleiner Familienbetrieb. Fast schon wie ein Biotop.

Eric Wrede beim Signing von Polarkreis (Photo: Matze Hielscher)

Eric Wrede beim Signing von Polarkreis 18 (Photo: Matze Hielscher)

Weißt du noch, wann du das erste Mal gedacht hast, dass das vielleicht nicht der Weg bis ans Ende deiner Arbeitstage sein wird?
Jedes Mal wenn ich Leute über 40 gesehen haben, denen der Zynismus zu den Augen rauslief. Musikindustrie ist ein bisschen wie Germanistik studieren: du verlernst Musik zu hören. Zumindest ging das mir so. Ich hab danach lange gebraucht, um nicht mehr nach „ist das verkäuflich?“ zu hören. Es hat wirklich ein, zwei Jahre gedauert wieder einfach nur zu fühlen, ob mich ein Lied bewegt. Aber am Ende habe ich ja keine Entscheidung gegen die Unterhaltungsindustrie gefällt, sondern für etwas neues, wohlüberlegtes.

Was gab letztlich final den Ausschlag, dich neu zu orientieren?
Das ist ja immer eine Mischung aus verschiedenen Sachen. In erster Linie hat das aber weniger mit der „Industrie“ denn mit mir zu tun gehabt. Ich war nicht mehr erfüllt von dem, was ich machte. Die Suche lief in meinem Hinterkopf schon lange und es gab eine Liste, was ich wollte und was ich nicht möchte. Aber ich fand nichts. Bis ich nachts ein Interview mit einem alternativen Bestatter hörte. Da passte plötzlich alles zusammen: Konkrete Arbeit, Menschen helfen und ein Bereich, in dem man aber auch noch etwas neu und anders machen kann…
Die Idee habe ich bestimmt ein halbes Jahr mit mir herumgetragen und ich dachte anfänglich „Mann, du kannst doch nicht Bestatter werden – das ist absurd.“
Den Ausschlag gab dann trauriger Weise die schwere Erkrankung eines meiner besten Freunde. Was mir auf eine harte Art und Weise noch mal zeigte: Verschwende keine Zeit mit Sachen, die du nicht liebst. Und zwei Tage nachdem ich das mit der Krankheit erfahren habe, bin ich aus allem raus und habe mich auf die Suche nach einem Weg gemacht, Bestatter zu werden,

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Eric Wrede und ehemalige Kollegen (Photo: Matze Hielscher)

Wie leicht ist dir das Loslassen denn gefallen?
Relativ leicht, bis heute. Der Prozess an sich war natürlich anstrengend und schwer, aber, auch wenn’s esoterisch klingt, wenn man weiß, dass man das Richtige macht, geht man durch ziemlich viel durch, ohne sich zu beklagen. Genau dieses Gefühl war an jedem Punkt der Reise da. Also das Loslassen war leicht, das Neue beginnen, war aber verdammt anstrengend.

Wie hast du dich denn der neuen Tätigkeitsidee angenähert?
Ich wollte für mich ja erst einmal herausfinden und lernen, ob ich mit dieser Arbeit umgehen kann. Somit bin ich in ein klassisches und im besten Sinne konservatives Bestattungshaus gegangen. Dort habe ich ein bisschen Wallraff-mäßig ganz unten mitgearbeitet, habe alle Arbeiten erledigt, die man sich vorstellen kann, inklusive Kellerputzen. Aber es war unglaublich wichtig, um zu lernen, zu verstehen und zu überprüfen, ob ich damit zu Recht komme. Selbst wenn dort natürlich komplett anders gearbeitet wurde, als wir es heute tun.
Was den Umgang mit den Verstorbenen selber angeht, so ist es bis heute jedes Mal etwas sehr besonderes, jemand Verstorbenes zu sehen. Ich war nie religiös, aber etwas zu sehen, dass das Leben verlassen hat, macht etwas mit mir und auch mit jedem Anderen. Die ganze Geschichte, die ganzen Gefühle, alles liegt da vor einem versteckt in einem nicht mehr lebenden Körper, nur noch getragen von Freunden und Familie.
Was mir bis heute unglaublich schwer fällt, ist der Umgang mit deinteressierten oder hasserfüllten Hinterbliebenen. Leider gibt es das immer wieder. Da habe ich bis jetzt kein Rezept gefunden, nicht für sie und leider auch nicht für mich. In den meisten Fällen bitte ich die Hinterbliebenen dann eher zu einem anderen Bestatter zu gehen.

Nun bist du ja kein konventioneller Bestatter sondern verfolgst da einen – wie es der Name deiner Firma, Der lebensnahe Bestatter, zum Ausdruck bringt – speziellen, persönlichen Zugang. Die Angehörigen bauen unter deiner Anleitung den Sarg selbst, habe ich das richtig verstanden?
Haha, auf das Wortspiel bin ich selber noch nicht gekommen. Es geht aber genau um diesen Zugang, Trauer entfaltet sich durch Nähe und mitmachen, nicht durch passives Abwarten. Und Trauer muss sich entfalten, ansonsten macht das die Hinterbliebenen krank.
Gerade für Freunde von Verstorbenen ist ein handwerklicher Zugang fantastisch. Denn die Hinterbliebenen der zweiten Reihe (also nicht die direkte Familie) haben oft einen schweren Stand im Rahmen der Trauer. Die Familie will vielleicht unter sich bleiben, aber alle Anderen spüren ja auch das Bedürfnis etwas beitragen und sich verabschieden zu wollen. Da hatten wir die Idee, einen Weg zu finden, wie man ohne Mehrkosten eine Möglichkeit schafft, dass alle sich einbringen können. Den Sarg muss die Familie ja eh kaufen. Aber das ist ja nur ein Beispiel, wie man die einzelnen Gruppen der Hinterbliebenen einbinden kann. Oft muss es schnell gehen, aber gerade bei jungen Verstorbenen ist es wichtig, dass die Hinterbliebenen, welche die Bestattung organisieren, sich einen engen Freund mit dazu zu holen. Denn die Eltern oder Geschwister wissen oft nicht mehr wie das normale Leben aussah und wichtiger noch, wer sich alles verabschieden kommen möchte. Und darum geht meine ganze Arbeit, einen persönlichen Abschied für jeden ermöglichen, der es möchte.

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(Photo: Jule Müller)

Sind die Angehörigen denn auch weitergehend in die Beerdigung eingebunden? Ich denke da an das Grab ausheben…?
Die Bestattungsindustrie hat mit den Jahren dafür gesorgt, dass sich alles, was das Sterben und Beerdigen eines Menschen angeht, wie ein große schwarzes Loch anfühlt. Niemand weiß so richtig Bescheid, was man möchte, was man darf und was gut ist für den Hinterbliebenen. Daraus resultiert, dass viele in der Überforderung der aktuen Trauer Entscheidungen treffen, die sie danach bereuen.
Die Liste ist unglaublich lang, sei es, dass man auf Drängen Dritter den Verstorbenen sehr schnell abholen lässt und somit vielen die Chance verwahrt wird, sich direkt und persönlich zuhause zu verabschieden. Oder so ganz einfache Sachen, wie dass ich die Urne meiner Großmutter selber senken möchte und nicht will, dass irgendein Typ vom Friedhof das macht.
Das ist jedes Mal ein kleiner Kampf gegen die Instanzen, aber man bekommt sehr viel hin, was andere Bestatter sofort abtun, weil es schlicht Arbeit für sie macht.
Wir erklären niemandem, wie eine „richtige“ Bestattung aussieht, sondern gestalten den Weg fast jedes Mal neu.
Normalerweise bist du ja beim Bestatter, hast den Verstorbenen das letzte Mal wahrscheinlich noch lebend gesehen und stehst irgendwann zur Beerdigung vor einer abstrakten Urne, die in die Erde gelassen wird. Dazu spricht ein fremder Redner. Da bist du als Hinterbliebener weit weg von dem, was vor dir passiert mit deiner eignen Trauer. So etwas gibt es bei uns nicht. Wir werden, wenn möglich, immer die Hinterbliebenen, soweit sie es können und wollen, integrieren.

Wie kamst du auf diese Ideen?
Nichts von dem ist wirklich meine Idee, da gibt es ja einige, die seit Jahren gegen die eingefahrenen Wege der Bestattungsindustrie ankämpfen. Angefangen mit der Hospiz- und auch der Schwulenbewegung, die den Tod offener und anders gestalten wollten. Den Tod ist ein natürlicher Bestandteil des Lebens, wenn auch ein hässlicher, den niemand gerne sieht.
Aber im besten Falle ist der Tod eine Kraft, die man zwar nicht verhindern kann, welche aber einen immensen und auch guten Einfluss auf das Leben haben kann. Wirklich zu verstehen, dass ich nicht für ewig hier bin, kann eine unglaubliche Kraft im Leben bedeuten.

Nun kann ich mir vorstellen, dass in so einem persönlichen Prozess der Beerdigungsvorbereitung auch sehr viel bei den Angehörigen hochkommt. Ist man da denn nicht auch schon fast als Psychologe gefragt dann?
Wir hatten gerade in einer Runde von Bestattern das Gespräch, dass die eigentliche Basis des Bestatterberufes ein Psychologiestudium sein muss und nicht die oft angebotene sehr kaufmännisch-handwerkliche Ausbildung. Der Schaden, welcher ein nicht geglückter Trauerprozess anrichten kann, ist immens. Aber zum Glück ist auch das Gegenteil der Fall. Daran arbeiten wir hart.
Wenn Hinterbliebene überlegen, ob sie Kinder und Jugendliche mit einbeziehen sollten erklärt unser Kinderpsychologe immer wieder das Gleiche: Vor dem Fakt, dass es Tod und Verlust gibt, kann niemand beschützt werden, aber der Umgang damit kann zum besten Aller gestaltet werden.

Wie fühlt sich der Blick zurück auf deine Jahre in der Musikindustrie an?
Ich freu mich jedes Mal, wenn ich alte und lieb gewonnene Bekannte und Freunde treffe, ein Großteil meines Freundeskreises ist ja immer noch im Musik- und Medienbereich zuhause, aber ich fühle eine große Entspannung nicht mehr Teil dieses gehetzten Hamsterrades zu sein. Ich wäre darin irgendwann untergegangen. Aber, hey, ich habe gerade mit Tim Renner zusammen als „The secretary & the undertaker“ aufgelegt… also so ganz raus bin ich dann doch noch nicht.

Abschluss- und Klischeefrage: Hat „Six Feet Under“ eine Rolle bei der Wahl der Zweitkarriere gespielt?
Ehrlicherweise habe ich die Serie erst später geschaut. Mir haben Freunde die DVD-Box geschenkt, als sie von meinem Wunsch erfahren haben. Aber so unrealistisch ist die Serie an vielen Stellen zum Glück gar nicht. Zum Beispiel der Wunsch sich noch mal beim Verstorbenen zu verabschieden, sicherlich nicht als Kaffeekranz wie in „Six Feet Under“, aber persönlich und nah, ist durch die Serie sicherlich mehr geworden. Und das passt perfekt zu unserer Arbeit.

 

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