Veronica Vasicka - Minimal Wave & Cititrax

„Ich verstehe nicht, wann das, was ich mag, cool geworden ist und warum.“

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Veronica Vasicka by Jonathan Forsythe

Echte New YorkerInnen können sich herausnehmen, was sich Reingeschmeckte nie erlauben dürften. Zum Beispiel im Jahr 2016 ein Treffen in einem Cafe auf der Bedford Avenue anzuberaumen, jener Straße, die im Zeitraffer von cool zu uncool geworden ist. Aber vielleicht genau der richtige Ort, um Veronica Vasicka zu treffen, Radio-Host, DJ und Labelbetreiberin von Minimal Wave und Cititrax. Repräsentiert doch der Sound, für den sie steht geradezu die Gegenposition zu einer derart ökonomisch angetriebenen Schnelllebigkeit. 

Die gebürtige New Yorkerin (geboren auf Conny Island, aufgewachsen im Greenwich Village und an der 88 East Street) hat sich der Soundarchäologie verschrieben – ein Unterfangen, das ihr spätestens seit der Gründung von Minimal Wave im Jahr 2005 so gut gelingt, dass es mittlerweile zig Epigonen gibt, die in ihrem Windschatten nach alten Wave- und Industrial-Veröffentlichungen diggen. Aus dem ehemaligen Sound für Freaks und Grenzgänger ist ein populäres Genre geworden.

“Wenn ich heute Bands wie Throbbing Gristle und Künstler wie Genesis P-Orridge in Mainstreammedien sehe, dann irritiert mich das schon“, führt Vasicka aus. „In den 90er Jahren war das weirdes Zeug, über das niemand schreiben wollte. Doch dieser Underground, den die Leute damals nicht für cool hielen, er hat all die andere Musik jener Epoche überlebt. Ich verstehe nicht, wann das, was ich mag, cool geworden ist und warum.“ Worauf Vasicka anspielt: sorgte in ihrer Teenagerzeit ein schwarzes Outfit in der Schule für Argwohn, ob man gerade eine Psychose ausbildete oder an der Nadel hing, so versperrt einem heute ein buntes T-Shirt den Zugang in den Club. „Ich habe mich in der Highschool definitiv als Outsider gefühlt“, erinnert sich Vasicka. „Die anderen Kids fragten mich, warum ich immer schwarz trage und wie lange ich zum herrichten jeden Morgen brauchen würde.“

Das Tor zur selbstgewählten Welt öffnete sich für die Tochter eines Tschechischen Arztes, der in den 1950er Jahren nach Amerika ausgewandert war, durch die Musik von Throbbing Gristle. Sie entlockten der 16jährigen Vasicka ein heftiges „wow“. Weitere wichtige Aha-Momente folgten durch Death in June, Christian Death und vor allem die frühen Demoaufnahmen von Sisters of Mercy. Fortan sollte sie an endlosen Nachmittagen die New Yorker Plattenläden auf Goth- und Wave-Platten durchwühlen, um sie anschließend heimlich nach Hause zu schleppen und in einem Schrank in ihrem Kinderzimmer einzuschließen. „Das musste ich machen, da sich meine Mutter immer ins Zimmer geschlichen hat und wenn sie die Platte fand und die Texte las, bekam sie es mit der Angst zu tun, ich würde den Teufel anbeten.“

Sicherer und geduldeter war da ihre zweite Leidenschaft: Synthesizer. Auch diese führte sie ins Epizentrum der Boys World – wobei das für sie gar nicht so präsent gewesen sei, wie sie anmerkt, wohl da „die Community, wie ich sie damals erfahren durfte, so viel offener war als in anderes Genres.“ Eine Erfahrung, die ihre Wahrnehmung bis heute positiv beeinflusst: wo andere Künstlerinnen sich im Club schnell aufregen, wenn mal wieder ein Mann ihnen erklären will, wie die Dinge zu rollen haben, dann nehme sie das einfach nicht wahr. „Es ist alles eine Frage des eigenen Fokus. Die Probleme zwischen Männern und Frauen, der hierarchische Kampf, das wird es immer geben, aber ich lass mich da nicht aus der Ruhe bringen.“

Aktuell stehen Vasickas Synthesizer leider verstaubt in der Ecke rum. Denn zum Produzieren kommt sie kaum noch – für ihre Dj-Sets und Minimal-Wave-Compilations produzierte Edits alter Tracks wie zuletzt „Computer Bank“ von Robert Lawrence und Mark Phillips sind die rare Ausnahme. „Ich habe vor zwei Jahren ein Baby bekommen“, erklärt sie das erstmals abrupte Ende ihrer Produktionsambitionen. „Das Problem mit New York ist, dass man hier nie genug Platz hat. Der Raum, in dem das Baby nun lebt, war ursprünglich mein Studio. Man muss neue Präferenzen setzen. Aber ich vermisse das Produzieren sehr.“

Neben dem Raum spielt auch die Zeit eine große Rolle, schließlich diktieren nicht nur Kind und die Labels Minimal Wave und Cititrax den Terminkalender von Vasicka, die Menge der internationalen Dj-Anfragen haben zuletzt auch extrem zugenommen – was nicht nur für schöne Erfahrungen sorgt, wie sie ganz aktuell berichten kann. Sie ist nämlich erst am Vortag aus Moskau zurückgekommen, wo sie eigentlich auf einem Outline Festival hätte spielen sollen. Doch unmittelbar nach der Landung in Russland erfuhr sie, dass das Festival abgesagt worden war. Ein absoluter Alptraum, gerade vor dem Hintergrund, dass sie sich jede solche Reise gut geplant frei schauffeln muss. Hinzu kam, dass es es ihr nicht vergönnt war, die 48 Stunden vor Ort wenigstens für spontanes Sightseeing zu nutzen, da „wir uns auf Abruf bereiten halten muss, da die Organisatoren zweifelhaft versuchten eine Ersatzveranstaltung zu realisieren.“ Ein Unterfangen, das genauso wenig von Erfolg gekrönt wurde, wie ihr Versuch ihre Gage einzutreiben.

„Mich fasziniert es sehr, was aus dem Leben der Leute geworden ist, nachdem sie mit der Musik aufgehört haben“, wechselt Vasicka das Thema wieder hin zu ihrem Arbeitsalltag bei Minimal Wave und somit erfreulicheren Dingen. „Warum haben sie aufgehört? Was machen sie jetzt? Wenn man zu recherchieren beginnt, findet man teilweise sehr drastische Geschichten wie jene von Alain Séghir und seiner Band Martin Dupont. Die waren durchaus erfolgreich und tourten unter anderem mit Siouxsie and the Banshees und The Lounge Lizards, bevor sie sich 1987 plötzlich auflösten und er dann Arzt wurde.”

 

Ebenso spannend ist die Geschichte des Nuklearwaffenspezialisten Andy Oppenheimer, die Vasicka bevorzugt in Interviews zum Besten gibt. Dieser hat die Songs für seine Band Oppenheimer Analysis (OA) auf dem Weg zu seinen wissenschaftlichen Meetings geschrieben.

Angesichts solcher Vitadetails, wundert es nicht, dass Veronica Vasicka derzeit an einer Buchpublikation arbeit, in der sie die Lebenswege vieler Minimal-Wave-Künstler aufarbeiten wird.

Während diese sich letztlich gegen ein Leben als MusikerInnen entschieden haben, beziehunsgweise es ihrer individuellen Umstände wegen mussten, lebt Vasicka den Traum vom selbstbestimmten künstlerischen Leben. „Es gab nie einen großen Masterplan in meinen Leben“, liefert sie sich selbst eine Erklärung dafür, dass alles sich so glücklich zusammengefügt hat. Freilich eine, die zu kurz greift. Vielmehr liegt die Ableitung nahe, dass es die ästhetische Dichte und Verzahnung all ihrer Aktivitäten ist, die die Minimal Wave so fruchtbar hat ausbreiten lassen. Und die Zähheit, mit der sie sich dem harten New Yorker Leben mit all seinen Abgründen entgegengestellt hat. „Ich habe lange als Fotoassistentin gearbeitet. Das Geld war immer knapp, doch die eigene Kreativität für einen Job zu opfern, das war nie eine Option.“ Wie so oft in künstlerischen Biografien ging es just in jenem Moment los, als Vasicka gerade alles hinwerfen wollte. Der Durchbruch kam mit ihrer Radioshow im East Village Radio (das leider mittlerweile eingestellt wurde, so dass sie sich aktuell auf Radiogastspiele bei Red Bull Music Academy Radio, Pitchfork Radio, NTS und Beats in Space beschränkt und keine eigene Radiosendung mehr hostet) .

Danach ging alles ganz schnell und plötzlich gab es mit Minimal Wave ein Label für die eigene archäologische Musikleidenschaft, immer mehr Dj Bookings und schließlich auch noch das zweite Label Cititrax – kurzum ein großes Patchwork aus sich gegenseitig stimulierenden Feldern. „Alles ist miteinander verknüpft“, führt sie aus. „Wenn ich zum Beispiel die Designs für das Label mache, bringe ich mich als Fotografin ein – aber auf eine andere Art als früher.“

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Veronica Vasicka by Jonathan Forsythe

Das New York, das sie mit all diesen Aktivitäten bespielt, hat sich zuletzt immer rasanter verändert. Das Ende von East Village Radio zeugt genauso davon wie die Mutation der Bedford Avenue vom Sehnsuchtsort zum Unort, markantestes Zeichen ist jedoch die nicht enden wollende Auswanderungswelle gen Europa und vor allem Berlin. „Die meisten meiner Freund, das was man mal Community nennen konnte, sind weggezogen“, berichtet Vasicka. „Es ist nicht so, dass ich hier keine Freunde mehr hätte, aber eben nicht so viele mit musikalischen Hintergrund. So fehlt es derzeit an einer wöchentlichen oder monatlichen Partyreihe, wo alle zusammen kommen, wie es sie früher gleich mehrfach gab. Ja, New York hat sich zuletzt sehr verändert.“

Das könnte man nun resignativ lesen. Schaut man jedoch auf die lebendige Diskografie ihres zweiten Labels Cititrax – das übrigens auch Re-Issue-Label mit der Neupressung der raren Chicago-House-Platte “Dance Party” von Z-Factor startete, bevor Vasicka zu contemporary artists umschwenkte – so hat man nicht den Eindruck, es fehle ihr an Impulsen. Es ist nur so, dass ihr Umfeld nicht mehr in den Straßen von Greenpoint und Williamsburg ansäßig ist, sondern in über die ganze Welt verteilten Stadtteile wie Neukölln oder Hackney. „Es gibt immer mehr immer mehr Leute, die Musik produzieren, die von Minimal Wave beeinflusst ist“, beschreibt Vasicka die Situation und ergänzt, dass das natürlich eine Bestätigung ihrer Arbeit sei.

Dass sie plötzlich mit lebendigen und noch aktiven KünstlerInnen zusammenarbeite, das sei zwar „viel zeitaufweniger und oft auch stressiger“, da sich nicht wenige von ihnen bei allen Aspekten einer Produktion mit einbringen wollen, merkt sie an. Aber es sei natürlich schön Anregungen zu bekommen und gemeinsam etwas zu entwickeln. Bei Minimal Wave sei es übrigens auch manchmal vorgekommen, dass die KünstlerInnen das Material neu bearbeiten wollten, wirft sie ein. Das wäre aber entgegen der Grundidee des Labels gewesen. „Bei Minimal Wave geht es um das Einfangen und Erhalten jener Zeit im Leben, wo man noch eine naive Herangehensweise an Musik kultiviert hat – nicht um nachträgliche Korrekturen.“

Bleibt nur noch die Frage, ob das Imprint Minimal Wave, das in all seiner majestätischen Größe über allem thront, für sie immer nur Segen sei oder manchmal auch der Teufel, den sie unwissentlich gerufen habe. Insofern als dass sie immer gewissen Erwartungen gerecht werden müsse? „Nein, so sehe ich das nicht. Ich empfinde Minimal Wave nicht als Druck. Manchmal frage ich mich zwar schon beim Auflegen, ob die Leute jetzt einen Minimal-Wave-Mix erwarten oder ich einfach nach Laune Techno mit Wave mischen kann, aber am Ende mache ich sowieso was ich will. Nein, es gibt keinen Filter für die unterschiedlichen Orte, an denen ich die Musik präsentiere. Was ich aber schon kritisch sehe, ist, dass es mittlerweile eine Übersättigung an Labels gibt, die sich ähnlich obskurer Musik wie ich sie auf Minimal Wave veröffentliche, widmet. Das stört mich.“

 

Veronica Vasicka tritt Ende August beim Atonal Festival in Berlin auf.

Aktuell ist auf Citytrax “Le Desordre et La Nuit“ from Amado (aka The Hacker) erschienen, Ende September folgt das Debütalbum von Marie Davidson (Essaie pas).

 

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