Das Flug ... Beatpoeten ... John, Paul, George, Ringo, Richard ... Storno ... Telemark ... Schreng Schreng & Lala

Die sechs kaputtesten Deutschpunk-Platten im Herbst

Zu seiner Zeit als Review-Redakteur beim Magazin Intro erhielt Linus Volkmann täglich sehr viele CDs – mit seinem preußischen Ehrgeiz und einer angeblichen Liebe zu Musik verschaffte er sich immer wieder aufs Neue einen Überblick. Lust und Last. Vorbei, vorbei. Doch auch ohne diesen Job erreichen ihn immer noch Promo-Muster. Nur prasselt der Kram nicht mehr wie bei einem obszönen Platzregen auf ihn und seinen kaputten Schirm ein. Umso besser – und gerade über Vinyl freut sich doch jeder. Besonders wenn die Klingel unten eigentlich kaputt ist – und die Plattenpakete immer bei der Nachbarin mit dem auf Kehle dressierten Schoßhund abgegeben werden. Egal. Hier ein paar Worte zu sechs aktuellen Punk-Alben, die er diesem Tier entreißen konnte.

20161014_085605Beatpoeten
“#Geheul”
Twisted Chords
Die Beatpoeten haben echt Glück, dass man ja nicht der arrogante Snob sein möchte, der man natürlich ist. Aber um jenen Zustand zu kaschieren, höre ich mir dann sogar Bands an, die „Beatpoeten“ heißen. Denn „Don’t judge a book by his cover“ – selbst wenn man damit zu 95 Prozent richtig liegt. Die Beatpoeten gehören nämlich zu diesen 5 Prozent, die dem sonst so gerechten Vorurteil trotzen. Und das, wo man hier natürlich denkt, die Musik zu so einem Namen, die muss ganz sicher der größte Poetry-Slam-Super-Gau sein – geflutet von eitlen Befindlichkeiten, ausgebreitet auf keinem Flow aber voller trotteligem Pathos. Quasi wie Julia Engelmann mit Penis. Okay, nur so viel Mal zu den Assoziationen bezüglich des Bandnamens Beatpoeten. Die Erwartungshaltung, die dieser Act aufmacht, ist unterirdisch – wobei… vielleicht mag das aber auch ganz ausgeklügelte Absicht sein: Unterschätzt werden gilt gemeinhin als Vorteil, vergleiche Pokalspiele. Die Wahrheit liegt jedenfalls auf dem Plattenteller und die weist nichts anderes aus als, dass das Elektro-Punk-Duo Beatpoeten aus Hannover einer der interessantesten Acts im erweiterten Punk-Sektor darstellt. Eine große Textgewalt zwischen Lyrik, Prosa und Sprechgesang erzählen in vielen Songs richtiggehende Geschichten. Persönliches und Intimes trifft auf beißend Ätzendes, eine Gratwanderung zwischen Moral und Zynismus mit extrem viel Bass. Die Songs besitzen eingängige Melodien, adrenalinige Slogans. Das ist Disco-Punk mit extrem viel Sprachvermögen. Geil halt. Beim Berlinfestival vor fünf oder sechs Jahren hatte ich mich mal verkartert in ihren Auftritt in ein – kein Scheiß – Poetry-Slam-Zelt gerettet, weil ich sitzen wollte. Das passte allerdings nicht wirklich zur Musik. Aber den Song “Mein Freund ist Hipster” von damals, meine ich hier auf der aktuellen Platte unter dem neuen Titel “Hipster bedrohen unser Leben” wiederzuerkennen beziehungsweise weitergeführt zu finden.

20161014_085829Schreng Schreng & La La
“Echtholzstandby”
Rookie Records
Nach den Beatpoeten ist sicher auch Jörg Mechenbier ein guter Ansprechpartner in Sachen schlechter Bandnamen. Seine mittlerweile zurecht im Emo-Deutschpunk-Hauptprogramm angekommene Gruppe leidet unter dem ungooglebaren Quarknamen Namen Love A. Solo sieht kaum besser aus: Schreng Schreng & La La ist eine Verschriftlichung der eigenen Musik. Im (linguistischen) Volksmund Onomatopoesie genannt. Was hier soviel bedeutet wie “Schreng” macht die Gitarre, “Lala” der Sänger. Guter Gott! Doch auch hier darf man den Künstler (der sich selbst ja auch noch „Jökk“ nennt) gern damit aufziehen, denn unter dem Strich steht eh etwas anderes – und zwar in diesem Fall eine neue Platte. Liedermacher-Punk klingt zwar nur wie eine weitere Beschimpfung, ist aber eigentlich gar keine. Jörg singt, Lasse Paulus spielt Gitarre. Klingt einfach, ist es auch, aber die Lagerfeuerminiaturen, die sie da für das zweite Album zusammengetragen haben, kann man nicht weniger als wertschätzen. Das ist richtiges Songwriter-Kunsthandwerk eben, was soll’s? Ohne Brimborium, ohne große Gesten, ohne Tatütata kommt Jörg immer wieder auf schöne Ideen, gute Sätze. Die Songs sind abwechslungsreich und ich persönlich liebe das Video zu „Oslo“, wo der schwitzende Mechenbier mit Folie zu einer Art Raucher-Arielle zusammengewickelt wird und singt „Die kleine Meerjungfrau ist traurig / und irgendjemand ist doch sicher daran schuld / dass sie den ganzen Tag nur dasitzt“.
Braucht man gar nichts weiteres sagen. Es ist alles hier.

20161014_085926John, Paul, George, Ringo & Richard
“Augen zu, Malibu”
Beau Travail
Wer das verstörende Moment in seiner Kunst deutlich machen möchte, freut sich sicher, wenn in den Musikkammern der Kunden folgender ratloser Dialog beim Abspielen seiner (Vinyl)Platte abläuft:
„Ist das überhaupt die richtige Geschwindigkeit?“
„Keine Ahnung, klingt irgendwie falsch. Warte mal, bis der Gesang kommt.“
„Ja, definitiv nicht 33, das muss auf 45! Ich mach mal…“
„Nee, klingt immer noch kaputt. Gibt’s noch eine andere Geschwindigkeit?“
„Also bei meiner Anlage hier nicht.“
„Mmh…“
usw.
So läuft es auch bei dem Solo-Debüt von Richard, der sonst Gitarre und Gesang bei der theremin-gestählten Deutschpunk-Sensation Pisse spielt. Hierbei klingt alles elektronischer, mehr nach DIY-Homerecording, völlig befreit von jeglicher Gefälligkeits-Prämisse. „Augen zu, Malibu“ möchte nerven, ist schrill, der Sound der Stimme ist so blechern übersteuert wie bei den feindlichsten Platten der Goldenen Zitronen. Überhaupt, liebe alten Wessie-Punks, das ist eine Analogie, die vielleicht helfen kann, wenn ihr mittlerweile drei Kinder bekommen und dabei bisschen den Überblick verloren habt: Richard solo verhält sich zu Pisse wie einst Schorsch Kamerun solo zu den Goldenen Zitronen. Kratzbürstig und schräg loten beide die Klaviatur des Nicht-Einverstanden-Seins aus. (Punk)Showbiz, go home! So findet sich auf der A-Seite auch nur ein gelooptes Sprach-Sample über die Angst vor der Stille. Hier generiert sich das Pathos des widerständigen Künstlers allerdings etwas zu pathetisch und unsubtil. Da sind die Elektro-Krach-Miniaturen der B-Seite doch ergiebiger. Insgesamt ein schönes Stück Migräne.

20161014_090033Telemark
“input/out“
Salon Alter Hammer
Hektischer Herrenpunk mit Hang zum postmodernen Textgulasch. Ein wiederholtes „Fütter mein Ego“ (Einstürzende Neubauten) wird zumindest genauso einfach mal eingestreut wie der Slogan „Immer diese Widersprüche“ (schon wieder: Goldene Zitronen). Das Ergebnis ist eine Patchwork-Decke mit viel zu entdecken für leicht angespannte Stunden besoffen vorm Kamin. Musikalisch handelte es sich um düsteren Punk mit New-Wave-Anmutung – meistens pointiert und verkürzt, aber in den Arrangements dann doch auch immer mal wieder üppig. Vermutung: Zulassung für ein Universitätsstudium vorhanden. Und noch mal Apropos Postmoderne Patchworkdecken-Metapher (selber Student!): Für mich blitzt hier immer wieder ein Flashback auf und zwar hin zu einer der interessantesten deutschsprachigen Platten überhaupt: Dem Abwärts-Debüt „Amok/Koma“. Kann man so stehen lassen.
(Finde leider keinen YouTube-Clip / weiß wer einen?)

20161014_090101Storno
“wellness”
Salon Alter Hammer
Dringlicher Gitarren-Powerpop mit Lichthupe und alles. Hat etwas von der leider verblichenen Schneller Autos Organisation – nur ohne deren emotionale Probleme. Sicher auch ein Ding für Anhänger von Koeter, KMPFSPRT oder Oiro. Mir ist es mitunter aber ein bisschen zu proto-mackermäßig, wenn sich die Darstellung von Empfindsamkeit immer nur über Härte aufstellen lässt. Das Screamo-Dilemma halt. Ansonsten hört man aber auch immer mal schönes Keyboard, das das Brett aufweicht. Mit mehr Dachschaden wäre das hier vermutlich (zumindest in meiner getrübten Wahrnehmung) wirklich etwas, was man sich für länger bewahren müsste.
(Finde leider auch hier keinen YouTube-Clip / any help will do!)

20161014_085719Das Flug
“Zerstören”
Twisted Chords
Vor etlichen Jahren hörte ich eine Kassette (!) auf meinem Walkman (!!) mit etlichen Elektro-Bands. Es handelte sich dabei um einen “Gegen Faschos”-Sampler von irgendeinem knalligen Hipster-Punk-Label. Kein Scheiß. Wir sprechen hier auch nicht von den Achtziger Jahren, sondern nur von kurz vor PEGIDA. Das weiß ich deshalb noch so genau, denn ein Song auf dieser Kassette brachte mich dazu, die Hülle noch mal zu suchen (unter’m Bett, Kompost, Handtasche). Er hieß: „Deutlich unterbewaffnet in Hellersdorf“, stammte von einer Band namens Das Flug und beschäftigte sich mit den gerade aufgekommenen Elendstendenzen unter dem Stichwort „Besorgte Bürger“. In Berlin Hellersdorf wurde gegen ein Flüchtlingsunterkunft mobil gemacht, das Stück von Das Flug dazu war eine konkrete Ansage. Mehrere Jahre später begegnete mir „Deutlich unterbewaffnet…“ auf einem Pro-Refugee-Sampler auf Springstoff/Ventil wieder. Erneut ein großes Hallo, wie hatte ich diesen Hit bloß vergessen können? So sexy und so voller Hass. Wieder hielt ich die Band aber für eine Anomalie mit nur einem Stück – warum eigentlich? Nun, es ist natürlich alles anders. Das weiß jetzt auch ich, denn Ex-Egotronic-Hippie Entenmann mit dem Fußballbackground schickte mir das Album. Sein Label endigital hat irgendwie damit zu tun – und die Platte ist sensationell. Nicht einfach dahingesagt. Grandioses Geballer, immer für Überraschungen gut, komplett auf Hit gebürstet. Die Ode an die Droge Ecstasy (vermutlich) hat es mir besonders angetan, an jene E wird appelliert „Tablette, fang an! Tablette, fang an!“ Ich lege mich fest: Antifa-Hedonismus klang nie besser – und beim letzten Song „Fake 808“ sogar nie berührender. Was immer auch geschieht, das sollte man kennen und hören. Das geht sogar komplett auf bandcamp, aber für Kharma, Szene und diesen haarigen Labelbetreiber (Quelle: Fotos / nie selbst getroffen) sei dringend auf das Vinyl-Album als Wertanlage verwiesen.

 

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