Buch

“Du kannst doch nicht 12 Euro für einen Gin Tonic bezahlen” Reise-Autorin Laura Nunziante im Interview

Laura Nunziante hat ein Buch geschrieben, das man statt auf dem Sofa besser auf dem schottrigen Kieselweg zum nächsten Abenteuer irgendwo im europäischen Hinterland aufschlägt. Es sei denn, es geht nach Malle – denn Strandspaziergänge bei Sonnenuntergang waren nicht unbedingt das, was die 31-jährige Autorin in ihren pointierten Essays wiedergeben wollte. Von Bianca Jankovska.

Während Nunziante über Schweden zur Zweitfamilie nach Italien und später gegen Osten fährt, erlebt sie das, was keiner auf Instagram postet: kotzende Engländer, die ihr nach dem Brexit beinahe regungslos um den Hals fallen; Taxifahrer, die sie trotz autochthoner Begleitung auf dem Weg ins portugiesische Hostel abzocken, fragwürdige Grenzkontrollen im Nicht-Staat Transnistrien und stellt sich dabei die allgegenwärtige Frage nach diesem sogenannten „Heimatgefühl“, das für Laura erst dann aufkommen mag, wenn sich die glitzernde Meeresoberfläche wie eine Decke über ihren Kopf legt.

“I love Europe” Foto: Laura Nunziante

 

Laura! Endlich ist es da, dieses Ding, das sich in der Verlagswelt auch Debüt nennt. Wie aufgeregt bist du im Moment?
Ich bin buchstäblich ernüchtert. Zehn Jahre habe ich für diesen Moment gearbeitet. Und als mein Belegexemplar dann im Briefkasten lag, dachte ich: „Joa, is ganz okay geworden.“ Gleichzeitig wusste ich dass ich noch lange nicht fertig bin und dass ich niemals mit meiner Arbeit zufrieden sein werde. Stolz auf das Buch ist wohl nur meine Mutter.

Du sprichst das Thema in deinem Buch selbst an: warum gibt es so wenige (bekannte) Sauf- und Reiseabenteuer von Frauen, während sich Männer scheinbar seit Jahrhunderten problemlos durch den Kontinent trinken und schlafen dürfen, ohne damit großes Aufsehen zu erregen?
Das ist zum Teil den traditionell konservativen Verlagen geschuldet. Sie sind es, die Reiseschriftstellerinnen im Spirituellen verorten. Oft steht am Anfang der Story eine Trennung, hier wird wieder der Mann als Katalysator dargestellt. Und dann bleibt die Frau nur auf der Suche nach sich selbst und nimmt dabei alles an Guru-Sex-Klischees und sinnlichen Kocherfahrungen mit. „Eat, Pray, Love“ ist da ein ganz schlimmes Beispiel. Der schreibende Mann darf wiederum ohne Grund aufbrechen, er ist eben der „Entdecker“; ein Pionier. Die Frau aber muss emotional und sensibel agieren. Ist sie dennoch sexuell, finanziell und emotional unabhängig? Dann werden ihre Stories sexuell ausgebeutet, wie bei „Schlampen im Schlafsack“ von Iris Bahr.
Gerade lese ich übrigens „Looking for Transwonderland“ von Noo Saro Wiwa. Sie bereist von London aus die Heimat ihres Vaters in Nigeria und stellt sich unerschrocken ihren Wurzeln. Nach sowas kannst du auf dem deutschen Markt lange suchen.

Was war für dich die Motivation, eine Art Reiseessay-Sammlung über Europa zu schreiben? Gab es einen Moment im europäischen Ausland, wo du dachtest: HEY! DARÜBER GIBT ES VIEL ZU WENIG TEXTE?
Viele meiner Freunde haben als Erasmus-Studenten in europäischen Großstädten gelebt und mir damals schon erzählt, dass es da nur ums Saufen ging. Außerdem reden Menschen generell offener, wenn sie getrunken haben. Die Idee fürs Buch wurde dann erst richtig rund, als ich irgendwo las, dass das kleine Land Moldau mit die älteste Weinkultur in Europa beherbergt. 6000 Jahre Weingeschichte, ich meine, schon mal was vom moldawischen Champagner gehört? Das fand ich spannend – und dann kam alles in meinem Kopf zusammen: Europäer, die sich von der Union trennen wollen, aber dennoch in den Clubs gemeinsam versacken. Das musste ich aufschreiben.

„You Deutschland?“, fragte er mich nach einer Weile.
„Ich Deutschland“, sagte ich. „But Putin, good?“, fragte ich im Gegenzug.
„Putin very“, sagte er. Wobei mir nicht ganz klar war, was er damit meinte.
„Merkel?“, fragte er mich.
„So and so.“
Er schien zufrieden mit meiner Antwort.

(Auszug aus “Salute”)

“Breakdance in Bukarest” Foto: Laura Nunziante

 

Wie lange bist du insgesamt gereist – und wann war deine finanzielle Schmerzgrenze erreicht?
Insgesamt war es circa ein Jahr mit Unterbrechungen. Ich reise sehr günstig; meist mit Bussen und Zügen. In der Zeit musste ich keine Miete zahlen, habe oft bei Freunden oder in Hostels gepennt. Außerdem schrieb ich weiter für diverse Medien. In Schweden oder London gab es schon einige Momente, wo ich dachte: Alter, du musst hier weg, du kannst doch nicht 12 Euro für einen Gin Tonic bezahlen? Im Osten und Süden zahlst du dafür nur 4-5 Euro. Aber eine finanzielle Schmerzgrenze gab es nicht. Jeder Europäer hat das Privileg und die Freiheit auch ohne festen Wohnsitz den Kontinent zu bereisen und muss dabei nicht arm werden. Das ist großartig.

Du bist Halbitalienerin mit polnischen Wurzeln auf deutscher Seite. Mir hat der Satz hier besonders gut gefallen: „Einwandererkinder sind stolz auf ihre Familiengeschichten. Nur so können sie sich von den langweiligen Erzählungen der Deutschen über Bausparverträge und Erbpachtsteuer absetzen.“ Sind die Deutschen wirklich so langweilig, wie du sie beschreibst?
Die sind schlimmer! Meine Generation – und die nach uns – mir gruselt es vor diesen lethargischen Menschen. Mein gesamter Freundeskreis ist verheiratet, hat zwei Kinder und macht Sommerurlaub an der Nordsee. Die leben das Leben unserer Eltern kommentarlos weiter, nur mit zehn Jahren Verspätung. Kein Wunder übrigens, das die Europäer, die ich auf meinen Reisen traf, fast alle das deutsche Wort „verboten“ kannten. Was ist denn da bei uns kaputt?

Bleiben wir kurz bei den Deutschen. Auf deiner Reise quatschst du mit einer Frau, die die Niederländer als die „besseren Deutschen“ bezeichnet. Stimmst du dem zu? Und: kann man nach einem kurzen Reiseaufenthalt überhaupt etwas über die dortige Kultur schreiben, das sich nicht schnell als Klischee entpuppt?
Ich fand den Ausspruch witzig, wenn auch nicht ganz richtig. Die Niederländer sind, trotz unserer Nachbarschaft, ein ganz eigenes Völkchen. Überhaupt nicht regelkonform, total abgedreht, und wirklich freundliche Menschen. Ich sehe da überhaupt keine Parallelen zu Deutschen. Wir sind uns aber eben sprachlich ähnlich und geographisch nahe. Da einen Vergleich zu ziehen, ist logisch. Aber ich teile ihn nicht.
Ich bin oft ins Klischee gerutscht, was mich im Nachhinein ärgert. Aber die meisten sind leider wahr. Ich war oft nur 3-4 Tage in den Ländern, manchmal aber auch zwei Monate. Ich denke, das merkt man den Stories an, wo ich tiefer in die Kultur des Landes eingedrungen bin. Ich habe dann irgendwann entschieden mit diesen Klischees, die immer wieder aufkamen, zu spielen und diese aufs Saufen herunterzubrechen. Das hat dann wenigstens einen komischen Charakter. Ich meine, wer findet einen Engländer, der einen Tag nach der fatalen Brexit-Wahl völlig zugesoffen ein neues Zuhause an weiblichen Schultern sucht, nicht witzig?

“What will we drink today, Bukarest?” Foto: Laura Nunziante

 

Du schreibst, dass es dir im Norden nach ein paar Tagen oft wieder nach der südländischen Leichtigkeit dürstet – bis der Bus zum Flughafen Verspätung hat. Wenn du dich entscheiden müsstest: Norden (also ab Österreich aufwärts), oder Süden?
Der Osten! Der war’s, da gehöre ich im Herzen hin. Der Norden ist mir zu konservativ und auch zu teuer und kalt. Der Süden ist natürlich aufgrund meiner Herkunft wie eine zweite Heimat, aber als Deutsche willst du da ständig alles optimieren, weil die selber nix auf die Reihe kriegen. Im Osten wiederum gibt es eine gesunde Einstellung zum DIY – und dazu gehört auch einen Streit mit einer Flasche Wodka zu bereinigen. Damit kann ich mich zu 100 % identifizieren.

Wie kann man sich den Schreibprozess auf Reisen vorstellen. Hattest du einen Plan? Oder bist du einfach mal los und hast dir dann verkatert im Hostel Notizen gemacht?
Leider siehst du es der Landkarte in der Buchklappe an, da gab es null Plan, total abstrus. Einfach drauf losgefahren, gesoffen, Dinge erlebt, in mein Notizbuch geschrieben und dann ein paar Wochen sacken lassen. Mit Kater konnte ich oft gar nix mehr. Aber es gab viele versoffene Abende, an denen ich Dialoge direkt aufgeschrieben habe: Konnte ich nur leider am nächsten Morgen nicht mehr lesen. Erst im nächsten Land habe ich übrigens die Geschichte vom Vorland aufgeschrieben. Den Abstand habe ich gebraucht, ich finde es schreibt sich vor Ort nicht gut. Erfahrungen müssen erst mal durchs Kleinhirn, um Literatur werden zu können.
“‘Na zdrowie’, riefen die Alten. Es war ein unverkennbarer Satz, ein unverkennbarer Klang, der von diesen magischen Worten ausging. Ich schaute auf das durchsichtige, braune Gesöff, das in einem Eierbecher vor mir stand.”

(Auszug aus „Salute“)

An manchen Stellen war mir schon alleine beim Lesen der Alkoholanekdoten ganz schlecht. Jetzt mal unter uns: hast du wirklich so viel getrunken? Und: wie reist man denn bitteschön als Dreißigjährige mit Kater in Zügen und Bussen, ohne sich dafür ein bisschen selbst zu hassen?
Aus dramaturgischen Gründen fahre ich im Buch alles nacheinander ab und habe immer einen sitzen. Es gab auf der Reise aber auch Zeiten, wo ich mir einfach nur die Stadt angeschaut habe, wochenlang nicht mal an Alkohol gedacht habe, auch mal wieder in Deutschland gearbeitet habe.
Insgesamt trinken wir Europäer doppelt so viel wie der Rest der Welt und diesem Ruf bin ich im Großen und Ganzen gerecht geworden. Denn sobald ich neue Leute kennengelernt hatte, ging es wieder direkt an die Theke. Aktuell mache ich übrigens eine Alkoholpause. Sagt alles, oder?

“Sie tippte etwas in ihr Handy ein, dann reichte sie es mir. Ich mag dich, stand da.
Ich reagierte auf die deutscheste Art, die man sich vorstellen konnte: Du kennst mich doch gar nicht, tippte ich.”

(Auszug aus „Salute“)

„Wie oft hatte ich meine Gefühle heruntergeschluckt, nur weil ich nicht wollte, dass mich meine Freunde als Dramaqueen bezeichneten, weil sie in einer Kultur lebten, die Gefühle als Krankheit verteufelt?“ Dazu hätte ich gerne noch mehr gelesen.
Jetzt wo du es sagst, ich auch! Was ich damit meinte: Ich werde von meinen deutschen Freunden in zwei Nationalitäten eingeteilt. Wenn ich „funktioniere“ bin ich, wie sie, Deutsche. Wenn ich laut werde, oder mich leidenschaftlich streite, ist das die „Italienerin“ in mir. Ab da werde ich nicht mehr ernst genommen. Ich habe unter dieser Zuteilung in meiner Jugend stark gelitten und auch deshalb war diese Reise so wichtig für mich. In Italien ist es nämlich voll okay laut zu werden und jeden kleinen Scheiß bis zum Erbrechen auszudiskutieren. Andererseits habe ich plötzlich auch meine deutschen Freunde besser verstanden, weil dieses südländische Durchkauen wiederum total nervig sein kann. Jetzt nenne ich mich Europäerin und alle sind zufrieden.

“Nie wieder saufen – Kater in Krakau” Foto: Laura Nunziante

 

Auf deinen Reisen hast du immer wieder Menschen getroffen, die Deutschland als ein Land sehen, ja vielleicht sogar als das einzige Land sehen, in dem man ein glückliches Leben führt. Welche Aspekte werden dabei bewusst oder unbewusst von den Menschen verklärt?
Wir sind das wirtschaftlich stabilste Land, das ist allen Europäern klar. Es nervt sie, aber insgeheim respektieren sie uns dafür. Dabei leide auch ich unter den steigenden Mietpreisen und muss auf jeden Cent achten, weil ich nicht mehr in einem Unternehmen angestellt bin. Gerade das Leben als freie Autorin ist unheimlich hart – und da gibt es welche, die sind viel schlimmer dran als ich. Das heißt, diese Freiheit, die andere in Deutschland suchen, gibt es im Grunde gar nicht. Du musst auch hier ein bestimmtes Lebensmodell fahren, wenn du was vom großen Kapital abhaben willst. Natürlich kannst du auch von Barcelona nach Berlin ziehen, aber auch hier gibt es eine Ordnung unter den Unordentlichen; einen Lifestyle, den du bedienen musst, um akzeptiert zu werden. Diese generelle Regelkonformität: Damit kommen viele Europäer nicht klar. Ich habe eine Freundin, die in ihr Heimatland zurückgegangen ist, auch wenn die Arbeitslosenquote dort sehr hoch ist. Natürlich verdienst du hier mehr als in Rumänien – dafür musst du allerdings mit diesen ganzen Deutschen zusammenleben.

Drei Dinge, die du politisch über Europa nur auf dieser Reise lernen konntest…
Die jungen Europäer glauben an eine egalitäre Gesellschaftsstruktur, ganz anders als ihre eher statusgerichteten Eltern.
Die finanzielle Ungleichheit in Europa ist immens. In Rumänien gibt es zum Beispiel Dörfer, wo Menschen mit 200 Euro im Monat auskommen müssen.
Es gibt einen Konsens über europäische Werte. Es gibt nur niemanden, der Bock hat, sie aufzuschreiben.

“Salute” ist erschienen bei Droemer/Knaur. Für 12,90 Euro erhältlich u.a. hier.

978-3-426-78934-6_Druck

Laura Nunziante, Jahrgang 1986, lebt meist in Berlin und Modena. Sie schreibt für jetzt.de, ze.tt, EDITON F und die Neue Osnabrücker Zeitung. Zum Schreiben ist sie wie zum Saufen gekommen: Einfach mal ausprobiert, und jetzt kommt sie nicht mehr davon los. Reisen ist ihre dritte Leidenschaft.

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