Mark Reeder

Erinnerungen eines Grenzgängers

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Grenztruppe , Berlin, 1994 (Photo: mfs)

Zu Neid neigende Personen könnten angesichts des Lebenslaufs von Mark Reeder ein Problem bekommen. Denn in diesem stimmt fast alles. Die erste selbstgekaufte Platte war “Electric Ladyland” von Jimi Hendrix, seine Popsozialisation erlebte er in Manchester an der Seite von Factory-Records-Gründer Tony Wilson und seine erste Band hatte er mit Mick Hucknall – ja, jener Hucknall, der später Simply Red gründen sollte, ich sagte ja, es stimmt “fast” alles.

Es waren die Versprechungen des Punks der ersten Stunde, die Reeder seine Karriere als Werbegrafiker abbrechen ließen und ihn nach Deutschland führten, wo er das lokale Factory-Records-Büro leitete und als Best-Man vor Ort für britische Bands auf Tour diente. Später wurde er zum Manager von Malaria und Mischer für Bands wie die Toten Hosen, spielte in den Horrorfilmen “Der Todesking” und “Nekromantik 2” von Jörg Buttgereit und berichte für den britischen Fernsehsender Tyne Tees Television mit der Musiksendung “The Tube” aus der Mauerstadt. Noch später entdeckte Reeder Techno für sich und leistete mit seinem Label MFS viel für dessen trancige Spielart und die Karrieren von Cosmic Baby, Johnny Klimek und Paul Van Dyk.

Reeder war es auch, der einen verwirrten Australier namens Nick Cave irgendwo in Europa aufgabelte und zum Umzug nach Berlin überredete und ihm dort in seiner Kreuzberger Wohnung Exil gewährte – was ihm leicht gefallen sein dürfte, denn meistens waren die beiden stets Anzugtragenden Künstler sowieso nicht Zuhause am kalten Kohleofen, sondern in den gewärmten Berliner Clubs und Bars. Cave ist irgendwann weitergezogen nach England, Reeder hingegen schwebt noch heute mit seiner einzigartigen Aura durch Berlin, immer noch so interessiert und alles aufsaugend wie vor dreißig Jahren.

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Muriel Gray & Mark Reeder, KuDamm, Berlin, 1983 (Quelle: Mark Reeder)

Zu seiner Hauptrolle im Dokumentationsfilm “B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin 1979-1989” ist Mark Reeder durch Zufall gekommen. Zunächst sollte er nur den Soundtrack mit dem von ihm etablierten “Five Point One” Soundverfahren betreuen. Doch als die Produzenten Jörg A. Hoppe, Klaus Maeck und Heiko Lange erst mal verstanden hatten, welch gut dokumentierten Protagonisten der Berliner Musikgeschichte sie da vor sich hatten, schrieben sie die Doku auf ihn um.

Für Kaput suchte Mark Reeder private Fotografien aus den 80ern und 90ern heraus und spricht über die Veränderungen, die die Stadt seit jenen Tagen erlebt hat.

Glienicke Brücke, Berlin (Foto: Mark Reeder)

Glienicke Brücke, Berlin, 1985 (Foto: Mark Reeder)

Mark, auch wenn es mir nicht nur um den Film geht, sondern um dein breiteres Wissen um die Geschichte von Berlin, so lass uns doch trotzdem naheliegenderweise mit diesem anfangen. Wie kam es zu deiner so zentralen Mitarbeit an “B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin 1979-1989”? War die irritierend gute Dokumentation deines Lebens der ausschlaggebende Punkt? Also dass es so viel Video- und Fotomaterial von, zu und mit dir gibt?
Das stimmt, es ist seltsam, wie viel Material es mit mir gibt. Aber ursprünglich war das alles gar nicht so geplant. Eigentlich wollten Jörg A. Hoppe, der frühere Manager von Extrabreit und Heiko Lange eine normale Dokumentation über die frühen 80er Jahre zusammenstellen. Jörg kennt viele Leute und traute sich zu, genug Material zu besorgen. Einen genauen Erzählstrang hatten sie zu dem Zeitpunkt, als ich ins Spiel kam, aber noch nicht. Jörg hatte mein Album “Five Point One”, für das ich Songs mit diesem neuen Soundverfahren remixt habe, gehört und fand es interessant und wollte dass ich den Soundtrack für den Film auch in 5.1 surround produziere. Wir kamen dann ins Gespräch und ich erwähnte, dass ich auch noch ein paar Sachen aus der Zeit hätte, Fotos sowie Sendungen, die ich über Berlin produziert habe. Danach war schnell klar, dass es ein Film aus Sicht eines Engländers werden sollte: ein Ausländer, der als Inländer auftritt. Es sollte um einen Blick auf die Berliner Szene gehen und die Frage, wie ich Teil von dieser geworden bin. Ich war ja nicht nur ein Außenstehender, der für ein paar Tage reingeschaut hat, sondern ich habe mitgemacht. Plötzlich gab es eine Story.

Die Montagetechnik, die sich daraus ergab, ist ja nicht unproblematisch. Man sieht und hört dich im alten Material, die ganzen Zuträger, Leute wie Gudrun Gut und Blixa Bargeld, die aus dem Jetzt sprechen, hört man aber nur, sieht sie jedoch nicht. Da entstehen ja Leerstellen, man würde ja gerne Gudrun und Blixa auch sehen.
Das ist aber Absicht, dass das nicht so ist. Wir wollten nicht wie das sonst bei Dokumentationen üblich ist einen so genannten Talking Heads Film machen, wo die realen Personen gut ausgelichtet im Jetzt vor schwarzem Hintergrund sitzen und ein paar alte Bilder gezeigt werden und sie erzählen wie geil damals alles war. Das wollten wir nicht, denn wir erzählen ja gar nicht wie geil die alten Zeiten waren, sondern nur wie es war. Das ist ein Unterschied.

Diese Bilder sprechen doch für sich und die Leute sollen über die vergangene Zeit sprechen und nicht über das Hier und Jetzt.

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Mark Reeder, Tatranska Lomnica, 1988 (Quelle: Mark Reeder)

War es denn leicht abseits von deinem Archiv all die Bilder zu bekommen? Wenn man das Jetzt als Bildquelle negiert und dafür alles mit Originalbildmaterial angehen will, hat man ja einen Höllenjob vor sich.
Das war ein Riesenaufwand, der drei Jahre verschlungen hat. Aber noch mehr als diese externe Suche hat den Produzenten mein Archiv zugesetzt. Ich habe immer wieder neue Sachen Zuhause gefunden. Das ging soweit, dass der Film fast zu Ende geschnitten war und ich immer noch neue Kassetten ausgegraben habe. Irgendwann schrien alle nur noch und baten mich inständig, dass ich nichts mehr finden solle.
Wir haben diesen Film ungefähr 70 Regisseuren zu verdanken, die alle mal für zwei Minuten mit ihrer Super-8-Kamera auf was gehalten haben und so Bilder dokumentierten, die es sonst nicht geben würde.

Das wirft sofort spannende Fragen des Erinnerns auf. Gerade im Abgleich mit heute, wo alles ja immerzu dokumentiert wird. Ich bin mir sicher, dass, wenn man das irgendwann vergleichen wird, das Material aus den 80ern, mit dem ihr gearbeitet habt, motivisch deutlich interessanter ist, da die neuen Möglichkeiten auch eine Unschärfe der Herangehensweise mit sich bringen. Wer eine Super-8-Kamera anwarf, wusste warum er das tat – wer sein Handy zieht nur in den seltensten Fällen.
Absolut, man hatte nur zwei Minuten Filmrolle damals – und die waren zudem sehr teuer. Da war man sehr wählerisch. Natürlich gab es auch Momentaufnahmen, die nicht geplant waren, wie beispielsweise die schreckliche Szene als Klaus-Jürgen Rattay von Bus überfahren wurde. Aber bei gestellten Szenen wie dem Mauergeburtstag, da wusste Knut Hofmeister schon, dass sie jetzt die Mauer anzünden und er das aufnehmen würde. Die Spontanität von heute gab es damals aber nicht.

Mark Reeder in "Nekromantik 2"

Bloody Hell: Mark Reeder in “Nekromantik 2”, 1990 (Copyright: Jörg Buttgereit)

Das Besondere an euren Bildern ist ja auch, dass man lange nichts von ihrer Existenz wusste und man nun damit konfrontiert wird. Hingegen die aktuelle Bilderproduktion landet ja zumeist in Echtzeit via youtube bei uns. Es ergibt sich also nie so ein Gefühl von Mangel, das Archiv ist heute quasi dauernd geöffnet.
Es gab damals vielleicht fünf Leute, die regelmäßig mit Kamera in Erscheinung getreten sind. Dadurch musste sehr viel recherchiert werden, wer diesen und jenen speziellen Auftritt gefilmt oder Fotos gemacht hat. Manfred O. Jelinski der alte Partner von Jörg Buttgereit, hat zum Glück sehr viele SO36 Konzerte gefilmt – und das auch noch mit einer besseren 16mm Kamera. Er hat tausende von Stunden, die noch niemand außer ihm gesehen hat.

Erstaunlich, dass er, der ja Erfahrung mit dem Vertrieb von Filmen hat, nicht schon selbst auf die Idee gekommen war, etwas mit dem Material zu machen.
Man vergisst irgendwann, dass es diese Sachen gibt. Aber er hat das mit seinem „Das war das SO36“ Video übrigens gemacht, wir haben für unseren Film ein paar Ausschnitte darauß verwendet.
Mir ging das auch so, nimm die Aufnahmen von “The Tube”, die im Film zu sehen sind, die habe ich danach nie wieder angeschaut. Erst als Jörg Hoppe mir von seiner Filmidee erzählte, erinnerte ich mich an meinen Karton mit Tapes.

Was aber auch damit zu tun hat, dass sich dein Leben ja nicht wirklich geändert hat. Okay, du brauchst heute wohl ein bisschen mehr Schlaf als in den 80ern, aber letztlich bist du noch immer kulturell so interessiert und involviert wie damals. Das verführt einen nicht zum Erinnern, es sei denn durch einen kreativen Prozess wie einen Film. War das Erinnern insofern seltsam für dich?
Oh ja, es war schwierig. Das Leben in Berlin ist für mich in der Tat ein kontinuierlicher Prozess. Die Perspektive einzunehmen, dass man damals das und das gemacht hat, das kenne ich so nicht. Wir planten nie, sondern stießen immer von einer Sache auf die nächste, weil eben jemand mit einer geilen Idee ankam. Sich nach mehreren Jahrzehnten daran zu erinnern, ist eine seltsames bis kaum machbare Sache. Es gab zum Beispiel schwarzweiß Aufnahmen aus dem Risiko, wo Heiko wissen wollte, ob ich mich daran erinnere. War ich da oder war ich nicht da? Ich war mir sicher, dass ich gar nicht anwesend war – aber er entdeckte mich im Hintergrund an der Bar sitzend während die Neubauten spielen.

Ist dies das Ergebnis des damaligen Lebensstils der Verschwendung oder des nie ablassenden Interesse an neuem?
Ein bisschen von beiden. Man wird älter, man vergisst alles, was nicht wirklich ein gravierender Moment war, der sich ins Gedächtnis eingemeißelt hat. Ein Abend im Risiko, an dem alle besoffen waren? Das galt doch für jeden Abend damals.

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DDR (Photo: Mark Reeder)

Ach ja, das wilde alte Berlin. Aber ist das nicht eine Legende? Empfindest du, als jemand, der auch im aktuellen Berlin noch verankert ist, den Unterschied denn wirklich als groß?
Es ist ein anderes Berlin jetzt – wobei es hinsichtlich Drogenkonsum und Hedonismus auch Ähnlichkeiten gibt. Ich vermisse das Berlin der 80er Jahre aber nicht. Das heutige ist relaxter, man kann sich viel freier bewegen. Aber ich vermisse manchmal schon, dass es eine Mauer gibt, dass man innerhalb der Stadt über eine Grenze gehen kann. Es war sehr aufregend in den Osten zu gehen und den Leuten zu helfen, indem man Dinge für sie hinüber geschmuggelt hat.

Du meinst du kannst dein Helfersyndrom nicht mehr so leicht ausleben?
Ja, den Leuten im Osten etwas Gutes zu tun, die dortige Musikszene zu unterstützen, das fehlt mir schon. Die Aufregung im heutigen Berlin ist eine ganz andere. Die Clubszene finde ich nicht mehr so aufregend wie früher, deswegen gehe ich nicht mehr jeden Tag aus.

Aber das liegt wohl eher an dir und dem Alter als an der Szene.
Ja, das stimmt.

Die Frage zielte deswegen auch eher darauf hin, ob der Unterschied für den heute 20jährigen wirklich so eklatant ist.
Der 20jährige von heute will wissen, wie und warum wir damals die Sachen so gemacht haben. Was war das für eine Welt, die eine Band wie die Einstürzenden Neubauten hervorgebracht hat, die mit Bauschutt Musik produzierten? Aus heutiger Sicht ist es unvorstellbar, dass man damit Erfolg haben konnte. Das war ja das Aufregende an der damaligen Berliner Szene – es war eine unkonventionelle Ära. Das lag an der speziellen Situation in Berlin. Die Stadt war ein Zufluchtsort. Es gab keinen Popkulturstress. Gerade für mich, der ich aus der englischen Popkultur kam, in der jeder Musik machen will, um damit der Misere der Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit zu entkommen. In meiner Heimatstadt Manchester wollte man einen Hit landen und nach London oder Amerika ziehen. In Berlin war das ganz anders, die Leute waren schon geflüchtet. Man hatte hier die Freiheit nicht zur Bundeswehr zu müssen. Die Stadt war ein Melting Pot für Schwule, Wehrdienstflüchtige, Trümmerfrauen und all jene, die nicht in ihre kleinen Kaffs reingepasst haben. Sie alle kamen hierher und waren unter Gleichgesinnten.
Berlin fühlte sich damals aufregend frisch an, so ganz anders als alles, was ich aus England kannte. Durch die Kreativität, die immer um mich herum war, von Künstlern über Musiker über Illustratoren, alle vereint durch Musik, wurde man stetig inspiriert. Man war dabei, mittendrin im Geschehen. Deswegen hat man das auch nie von außen reflektiert, was und wie man da so lebt.

Der Unterschied zu heute ist aber auch, dass das graue und raue noch seinen Reiz hatte. Heute sind die Subkulturen noch genauso präsent und es gibt mehr denn je Orte für sie, wo man die ganze Nacht durchtrinken und tanzen kann, die Drogen sind noch viel übersteigerter als damals, aber es sieht alles ein bisschen mehr wie ein einem gestylten Fitnessstudio aus. Es hat eine andere Ästhetik Einzug gehalten.
Es ist eine moderne Welt geworden. Leider. Die Ordnung, die man früher hatte, hat sich aufgelöst. Nimm einen legendären Club wie das UFO früher, wenn ich einen heutigen 20jährigen fragen würde, wie er sich den vorstellen würde, der wäre baff. Da war kein Monstertürsteher, der dich abgefilzt hat. Da stand ein asiatisches Mädchen mit ihren Brüdern an der Tür und die haben sehr relaxt nach Gefühl Leute reingelassen. Man war nicht intermittiert vom Druck und dem Unwissen, ob man reinkommt oder nicht. Es war alles viel entspannter.

Weniger Kontrollgesellschaft.
Nicht wirklich. Es gab null Kontrolle, man ist einfach reingekommen.

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Mark Reeder, Berlin, 1945 (Quelle: Mark Reeder)

Man konnte zudem mit kaum Geld auskommen, du sprichst es auch im Film an – aber was bedeutete das für die Lebensqualität? Und geht das heute auch deiner Meinung nach nicht auch noch? Im Vergleich mit den restlichen Metropolen der Welt ist die Stadt ja noch immer günstig. Wir landen da immer wieder bei der gleichen Frage: Ist es nicht eher eine Frage des Alters als der Ära?
Man hatte Kohleofenheizung damals und musste immer in die Kohlehandlung gehen, wenn man Nachschub brauchte, das war im Winter schon härter. Außerdem hatte man damals noch Außentoiletten, man musste zwei Treppen runtergehen. Heißes Wasser gab es auch nicht.
Die Tatsache, dass man unter solchen Verhältnissen gelebt hat, sorgte dafür, dass man so viel ausgegangen ist. Man ging in den Club oder die Bar für die ganze Nacht, da es wärmer war. Klar, man traf auch Leute, tanzte und nahm Drogen, aber es spielte auch eine große Rolle, dass die Wohnung ungemütlich und kalt war, das Risiko und der Dschungel aber warm und freundlich.

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Muriel Grey & Mark Reeder, Berlin, 1983 (Quelle: Mark Reeder)

Wie hat man denn den Lebsensstil des permanenten Ausgehens finanziert? Ja, man kennt viele und bekommt auch was ausgegeben, aber irgendwer musste die Unmengen an Drogen und Alkohol ja zahlen.
Darüber hat man sich keine Gedanken gemacht. Wenn man Geld hatte, lud man die anderen ein, und wenn nicht, dann wurde man stetig eingeladen.

Du hast damals gar nicht gearbeitet?
Als ich nach Berlin kam, jobbte ich hier und da mal. Ich war zwar Soundmann und später auch Manager von Malaria, aber man hatte ja nicht jeden Tag ein Konzert. Aber das Mixen war schon meine Idee von Arbeit, ich hab das auch für die Toten Hosen, Family 5 und ein paar Bands aus England gemacht, um ein bisschen Geld reinzubekommen. Aber es gab schon richtige Engpässe, wo ich dann mal überlegen musste, wie Geld reinkommen könnte. Zum Beispiel habe ich einmal für Bayer Mikrofilme entwickelt. Das war eine sechswöchige Urlaubsvertretung. Dadurch, dass ich gelernter Werbegrafiker war, konnte ich genug Geld dafür bekommen, dass ich danach ein halbes Jahr damit leben konnte. Das gibt es in der Form heute nicht mehr. Auch meine damaligen Fernsehjobs waren noch so gut bezahlt, dass ich ein ganzes Jahr davon zu recht kam.

Die Toten Hosen, Erlöser Kirche, Berlin, 1983 (Photo: Mark Reeder)

Die Toten Hosen, Erlöser Kirche, Berlin, 1983 (Photo: Mark Reeder)

Wo wir gerade schon beim Thema Geld sind. Wann würdest du denn rückblickend den Moment ausmachen, ab dem es innerhalb der Szene legitim wurde, mit Geschäftsgebaren aufzutreten?
Das ist tatsächlich erst nach der Wende passiert. Bis dahin war selbst so etwas wie Clubbetreiben eher ein aktionistisches Ding. Selbst das Tresor von Dimitri Hegemann fing noch so an. Aber als nach der Wende mehr geschäftsorientierte Leute aus Westdeutschland nach Berlin kamen, zog das geschäftliche Denken ein. Das lag auch daran, dass die Berlinzulage und die anderen Begünstigungen abgebaut wurden. Stattdessen kamen Leute aus England, Spanien und Schweden und investierten in die Stadt.

Es fand eine Kommerzialisierung des Alltags statt.
Ja. Diese Zugezogenen brachten andere Geschäftsformen mit sich, professionellere. Bis dato war alles eher unprofessionell hier.

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Bernard Sumner & Mark Reeder, Berlin, 1986 (Quelle: Mark Reeder)

Die Idee, dass du das herausgestellt hättest, dass du Manager von Malaria bist, war verpönt.
Ich wollte nie der Manager sein! Ich habe mich nie mit dem Wort vorgestellt, es hatte so einen bitteren Nachgeschmack. Ich sagte damals zu Gudrun Gut, dass sie mich so nie vorstellen dürfe, das klänge so schrecklich. Man wollte erfolgreich sein, aber nicht in der Art wie Nena oder Markus, also in dieser Pophistorie, sondern in der Form, dass man eine größere Menge an Gleichgesinnten erreichen wollte.

Du meinst, dass man, um mit dem französischen Philosophen Pierre Bourdieu zu sprechen, nach mehr sozialer Akzeptanz und kulturellem Kapital strebte?
Ja.

JoyDivision, 21.1.1980, Berlin (Photo: Mark Reeder)

Joy Division, Berlin, Kant Kino, 21.1.1980 (Photo: Mark Reeder)

Kannst du dich erinnern, wann du das erste Mal registriert hast, dass hier so unwahrscheinliche Erfolgsgeschichte wie die vorhin angesprochene von den Einstürzenden Neubauten, möglich wurden?
Als sie plötzlich in der Bravo auftauchten…. Viele der Leute, die damals nichts anderes als ihre Musik machten, wurden von normalen Leuten immer gefragt, was ihr regulärer Job sei. Die Idee, dass man davon lebte, für eine Band Gigs zu besorgen oder sie auf Tour zu begleiten und die Konzerte abzumischen, das kam irritierend an. Wir dachten aber damals nie darüber nach, wie die Zukunft aussah. Wir bemerkten jedoch irgendwann, dass sich die Verhältnisse zu verändern begannen. Plötzlich gab es Resonanz auf Konzerte, es kam zu Anfragen aus dem Ausland durch Mund-zu-Mund-Propaganda. Vom einen Tag zum anderen ergaben sich Möglichkeiten.

Gab es da Kritik? Denn wenn man anfängt außerhalb der eigenen Stadt zu spielen, dann führt dies ja zu Leerstellen Zuhause – und die lokale Szene verändert sich dadurch. Das sieht man heute daran, dass es viel schwieriger geworden ist, dass sich ein neues Seattle oder so entwickeln kann, da bedingt durch die großen Chancen, die die globalisierte Welt für Künstler mit sich bringt, diese auch so viel schneller flügge werden.
Ganz ehrlich: Wir waren damals froh, dass wir mal rauskamen und ein schönes Hotel bekamen. Man musste mal nicht die Kohle aus dem Keller zu holen. Das gönnten einem auch die anderen. Aber ich muss auch sagen, ich war immer froh, wieder Zuhause zu sein, egal wie schwierig das war und unter welchen Umständen wir gelebt haben. Diese Touren waren wie Ausflüge, auf denen man sich und seine Musik präsentiert hat.
Das Bild, das man damit erzeugte, dieses Bild vom Erfolg im Ausland, sorgte Zuhause dann für seltsame Angebote. Es gab da diesen einen Veranstalter von Sektor, der eine Totgeburt von Club kreierte. Er wollte damals unbedingt die Malaria Mädchen in seinem Club haben und bot uns 10.000 Mark, weil er dachte, sie seien so teuer, da sie ja überall in der Welt spielten, von Amerika über Holland und Westdeutschland. Die mussten doch teuer sein.

Sind denn viele von den Leuten, die dich damals umgeben haben, auf der Strecke geblieben? Künstlerisch in dem Sinne dass sie heute ein ganz anderes Leben führen als auch rein körperlich durch die Lebensumstände?
Man kämpft für das, an das man glaubt. Aber wenn man sich nur für Drogen und Alkohol entscheidet, dann ist der Weg vorgeplant. Ich war das nie. Ich lebe für die Musik.
Aber ich habe das auch nie so wahrgenommen, dass da alte Bekannte wegfielen und jüngere dafür nachrückten. Obwohl da sicherlich was dran ist, nur dass ich eben einfach weitergemacht habe. Die Jüngeren, mit denen ich heute verkehre nehme ich als Gleichgesinnte war, man interessiert sich für dieselbe Musik, Kunst und Filme, geht auf die gleichen Konzerte. Deren Leben heute haben aber wenig gemein mit den unsrigen in den 80ern und 90ern. Heute ist alles viel bequemer als damals. Selbst wenn sie es teilweise als schwierig wahrnehmen, so muss man schon den Unterschied sehen. Ein gutes Beispiel ist die Ernährung. Ich war schon damals Vegetarier und als solcher auf Tour zu gehen war sehr schwierig. In einem bayrischen Kaff gab es damals nur Spanferkel für die Band. Ich musste mit einem Gulag-Menü aus Brot und Wasser zu Recht kommen.

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Die Unbekannten: Michael Schäumer, Mark Reeder & Alistair Gray, 1983 (Photo:Kirsten Johannson)

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Mark Reeder

Der damaligen Szene haftete ja etwas sehr snobistisches an: Dazugehören oder Nichtdazugehören. So jemand wie Blixa, der ja lustigerweise am Anfang des Films noch der unbedarfte Junge ist, dann aber schnell seine Eigenarten entwickelt, die ihn noch heute kennzeichnen, verkörpert ja diese Attitüde sehr gut.
Das war die Mischung aus Image und den Drogen. Die Filmszene, die du ansprichst, als ich ihm dieses blöde Interview arrangiert habe, die nervte Blixa damals sehr. Er kam mit der Moderatorin nicht zu Recht. Aber wir haben ihn auch überrumpelt, er war ja gerade erst aufgestanden.

Ich frage das, da ich noch gerne mit dir über den ein bisschen “Sendung mit der Maus”-artigen Erzählstil der Dokumentation sprechen würde. Die Abholebene entspricht nicht ganz dem durchaus harten Milieu aus Speed ziehenden Typen, die vorm Kohleofen lagen von damals.
Interessante Anmerkung. Von dem Standpunkt her habe ich das noch nie betrachtet. Als wir damals in den 80ern diese Sendung für England konzipiert haben, wollte ich meinen Landsleuten meine Exil-Szene präsentieren. Ich wollte zeigen, dass in Berlin eine ganz andere Stimmung herrscht.

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Die Unbekannten: Mark Reeder, Alistair Gray, Thomas Wydler, 1981 (Photo: Peter Gruchot)

Ich spreche nicht vom Duktus des Archivmaterials sondern von den heute eingesprochenen Leittexten der Dokumentation und deiner Erzählerstimme.
Es sollte nicht so kompliziert klingen. Mein ursprüngliches Skript war viel detaillierter über die Vorgänge, aber man hat letztlich nur 90 Minuten Zeit zum Erzählen – zehn Jahre in 90 Minuten waren nicht leicht umzusetzen. Der Produzent Klaus Maeck hat mir seine Vorstellungen mitgegeben, wie er es gerne hätte, und ich habe es dann darauf aufbauend angelegt. Aber dann wäre der Film drei Stunden lang geworden, so “Apocalyse Now”-mäßig – wir mussten also drastisch kürzen und Kompromisse machen. Es ist schwierig, diese Zeit in ein paar Worten zu erklären. Ich bin nicht Goethe und wollte es auch nicht zu hoch anlegen, der Film sollte einer breiten Masse an Menschen verständlich sein, so dass sie nachvollziehen können, wie wir damals gelebt haben. Egal ob sie aus Mexiko, Singapur oder der Türkei kommen, sie alle sollten begreifen, wie Berlin damals ausgesehen hat und was wir gemacht haben. Wenn man das zu kompliziert anlegt, dann verstehen die Leute es nicht.

Mark, wo würdest du jemand junges, der heute nach Berlin kommt, in der Stadt hinschicken, um ihm ein Gefühl zu vermitteln, das dem alten Berlin so nahe wie möglich kommt?
In die Außenbezirke von Berlin, sie vermitteln noch immer diese zwei Seiten Berlins aus den 80ern, geben ein Bild von der Dualität von Ostberlin und Westberlin. Einfach die Straßenbahn bis zum bitteren Ende nehmen, Landsberger Allee und weiter!
In unserem Film tasten wir Ostberlin kaum an, da er von der Insel Westberlin handelt – die Leute wissen ja auch weniger über den Westen jener Tage, der Osten war und ist viel präsenter in ihrem Bewusstsein. Eine Sendung wie “Tube” war damals das allererste Mal, dass eine Popkultur-Musik-Sendung in Ost und West Berlin produziert wurde. Überhaupt muss ich sagen, dass ich ohne den Osten nie solange in der Stadt geblieben wäre. Ich habe nicht nur sehr viele Ausflüge in die DDR und den ganzen Ostblock unternommen, sondern dort auch einen Freundeskreis aufgebaut.

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DJ Klang & Mark Reeder (Quelle: Mark Reeder)

Hast du diese nach dem Mauerfall dann intensiviert?
Der Mauerfall hat es automatisch mit sich gebracht, dass ich neue Leute aus dem Osten kennenlernte. Auf der andere Seite hat sich der Mauerfall auch auf meinen ursprünglichen DDR-Freundeskreis ausgewirkt: einige verschwanden sofort aus meinem Leben. Das warf natürlich die Frage auf, ob sie für die Stasi gearbeitet haben. Letztlich blieb nur ein sehr kleiner Freundeskreis übrig, dafür habe ich aber neue Leute kennengelernt, vor allem durch die blühende Techno- und Clubszene jener Tage. Als ich mein Label MFS in Ostberlin gründete, geschah dies mit der Vorstellung hauptsächlich eine Plattform für Musik aus dem Osten zu erschaffen. Ich dachte es gibt bestimmt junge Ostkünstler, die vor Kreativität platzen, aber noch gar nicht wissen, dass sie diese besitzen und wie man damit umgeht. Mein Label sollte genau diesen Leuten ein Ziel geben. Das Problem war aber, dass die Ostkids alle keine Technik besaßen und es einige Zeit dauerte bis sie an Instrumente und Computer kamen und diese beherrschten. Aber trotzdem habe ich die Suche nicht auf und lernte welche kennen. Sie hatten alle Träume und Ideen und ich habe, soweit es im Rahmen meiner Möglichkeiten lag, ihnen dabei zu helfen versucht, diese umzusetzen. Um die Sache zu beschleunigen habe ich versucht Künstler aus dem Westen mit welchen aus dem Osten zu verkuppeln.

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Marrk Reeder & Rikk Galvan, Berlin, Love Parade 1999 (Quelle: Mark Reeder)

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Mark Reeder / Shark Vegas live (mit Tonband Maschine) (Quelle: Mark Reeder)

Wo wir uns gerade schon bei deinem Dancelabel MFS und mitten im Technoboom der 90er Jahre befinden. Nachdem wir uns bereits über die Unterschiede zwischen den 80ern und heute unterhaltet haben, etwas zugeschnittener auf elektronische Musik gefragt: was unterscheidet denn die aktuelle Technoszene Berlins von jener der 90er?
Vieles eigentlich. Damals war alles neu, unangetastet und frisch. Totally new ground. Nicht nur die Veranstaltungsorte entlang des ehemaligen Grenzstreifens – Technomusik entwickelte sich damals rasch, da immer mehr Leute diese Musik produzieren konnten. Das hatte mit der zeitgleich stattfindenden Preisentwicklung für die Technik zu tun: Atari Computer und Musikprogramme wie von Steinberg waren plötzlich bezahlbar. Das half die unglaubliche kreative Energie und Euphorie jener Tage umzusetzen. Zumal man sich alles erlauben konnte. Es gab keine Grenzen mehr! Ecstasy spielte auch eine großes Rolle. Es war eine relativ neue Droge und sie war auf jeder Party zu finden, was alle in den gleichen geistigen Zustand versetzte: Die Musik vereinte alle, wir waren Gleichgesinnte und liebten uns. Das war besonders wichtig. Es öffnete jede verschlossene Tür zu Techno. Die Ostkids hatten vor der Mauerfall außer Nikotin und Alkohol keine anderen Drogen gehabt. Sie kannten zwar Speed, LSD und Hasch vom Hörensagen, oder da über geheime Kanäle mal was rüberkam, aber für den Großteil der DDR Bevölkerung existierten solche Möglichkeiten nicht. Und nun konnten sie alle plötzlich für wenig Geld den ganzen Abend breit sein und die Nächte zu E und Techno durchtanzen.
Techno war der ideale Soundtrack: instrumental, hart, schnell, repetetiv, hypnotisch – aber nie melodiös. Einige meiner etwas älteren Freunde konnten überhaupt nichts mit dem Sound anfangen. So kam ich auf die Idee, dem hypnotischen Techno mehr Melodieanteile zu geben, so dass sie den Anschluss finden konnten. Ich dachte, dass die Euphorie und innere Freude des wiedervereinigten Deutschlands so umgesetzt würde. Ich wollte mit den Emotionen spielen, ganz praktisch gesprochen das up & down Gefühl von E musikalisch umsetzten. Zunächst hieß der MFS Sound für mich Hypno-Trance, später Trance-Dance und dann nur noch Trance – wenn man sich ein Album von damals wie „Tranceformed from Beyond“ heute anhört, merkt man wie wenig das mit dem Trance von jetzt zu tun hat. Damals klang Techno warm und war innovativ, er repräsentierte ein neues Ideenreich. Heute sind die Richtlinien längst gesetzt. Was ich an Techno bewundere, ist seine Lebensdauer. Frühere Musikmoden aus den 60ern und 70ern waren viel kurzlebiger, Techno hat bereits mehr als 25 Jahre überlebt und zeigt sich noch immer entwicklungsfähig und innovativ. Das hat wiederum mit der Technik zu tun. Es gibt ständig neue Geräte und Programme, die die Vielfalt am Leben erhalten.

Mark, in dem gerade von Andreas Dorau und Sven Regener veröffentlichten Buch “Ärger mit der Unsterblichkeit” kommst du vor. Andreas erzählt, dass er einige der Trancestücke, die er mit Tommi Eckart produziert hatte, unter dem Projektnamen Volumina! auf deinem Label MFS veröffentlicht hat. Die Platte trug den Titel “It´s Alright”. Wie erinnerst du die Begegnung mit seiner Musik damals?
Ich habe damals eigentlich eine Demokassette erhalten auf der das Stück „Transformation“ von Transform war. Ein super Track, der genau in meine Vorstellungen zur damaligen Zeit passte und den ich auf MFS veröffentlichen wollte. Leider gab es aber eine Verwechslung und stattdessen bekam ich Volumina! Sie hatten mir die falsche Kassette geschickt und „Transformation“ war dann auch schon vergeben. Da ich Andreas aus früheren Tagen kannte, rief ich ihn an und wir einigten uns eben darauf, dass ich sein anderes Projekt mit Tommi Eckart veröffentliche. Naja, damals musste man als A&R nicht nur auf die nächste Single schauen sondern den weiteren Horizont im Blick haben. Man wollte Künstler aufbauen. Aber leider blieb es bei der einen Volumina! Single.

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Die Toten Hosen, Berlin (Campino with red hair!), Hoffnungskirche, 1988 (Quelle: Mark Reeder)

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Mark Reeder

Eine leicht absurde Schlussfrage noch: Wenn du dich für eine spezielle Nacht als die beste, die du in Berlin je erlebt hast, entscheiden müsstest, welche wäre es?
Es gibt natürlich recht viele davon, aber einer der interessantesten und vielseitigen Tage war jener in 1988, als wir das zweite Geheimkonzert der Tote Hosen in Ostberlin veranstaltet haben. Am Tag zuvor spielten sie ein Benefizkonzert für Trevor Wilson „Ich und mein Staubsauger“-Magazin und wir nutzen die Chance, um ein weiteres Konzert im Ostteil der Stadt zu spielen. Es war teils einer sogenannte „Blues-Messe“ in der Hoffnungskirche in Pankow zusammen mit der Ostberliner Indie-Band Die Vision und als Benefizkonzert für rumänische Waisenkinder getarnt. Mit Hilfe eines befreundeten US-Soldaten haben wir die Instrumente der Hosen sowie Haschkekse und Ostgeld ungehindert nach Ostberlin reingeschmuggelt – was beim ersten Geheimkonzert der Hosen fünf Jahre vorher, 1983, so noch nicht möglich gewesen war. Obwohl meine Freunde das Konzert geheim zu halten versuchten, kamen über einhundert Leute, so dass bei unserem Eintreffen bereits ein Wagen der Volkspolizei vor der Kirche stand. Wir haben den Gig trotzdem durchgezogen. Natürlich war die Luft sehr angespannt und wir zitterten vor Aufregung (und Kälte), da wir nicht wussten, was als nächstes passieren würde. Wir rechneten damit, die Nacht im Knast zu verbringen. Zunächst spielten Die Vision ein paar Songs, und dann, als die Toten Hosen anfangen sollten, teilte der Pfarrer die traurige Nachricht mit, dass eine Eiszeit über das Land gekommen sei und die Behörden der Band den Auftritt untersagt hätten. Daraufhin kommunizierten wir dem Pfarrer schnell, er solle ansagen, dass stattdessen eine Band aus Dresden spielen würde – wir rechneten damit, dass weder Stasi noch Volkspolizei wussten, wie die Hosen aussehen. Und in der Tat spielten sie fast eine Stunde, bevor unsere Tarnung aufflog.
Nach dem Auftritt gingen wir als riesen Punktruppe im Nobel-Restaurant Haus Budapest an der Karl-Marx-Allee essen, wo wir Tage zuvor reserviert hatten. Sie dachten wir kommen mit 20 US-Soldaten und waren natürlich total entsetzt, als so ein Haufen Elendaussehende Punks und dekadenter, besoffener und bekokster Ausländer als Gäste erschienen. Wegen der Haschkekse hatten wir einen riesigen Hunger und aßen alles, was auf der Speisekarte stand und tranken die teuersten Ungarischen Weine, alles bezahlt mit dem reingeschmuggeltem Ostgeld. Da wir bis Mitternacht zurück an der Grenze sein mussten, brach unser US-Soldatenfreund alle Verkehrsregeln der DDR auf dem Weg zum Grenzübergang und fuhr über rote Ampeln und falsch herum durch Einbahnstraßen – er wusste, dass nur die Sowjetische Militärpolizei ihn verhaften durfte, nicht aber die Volkspolizei. Wir kamen letztlich genau rechtzeitig an den Tränenpalast-Grenzübergang. Campino, der bis dahin seine roten Haare unter einer Mütze verborgen hatte, da er sonst nicht in die DDR reingekommen wäre, legte es diesmal drauf an und zeigte Haar. Der empörte Grenzsoldat schaute ihn an und fragte, welcher Idiot denn ihn reingelassen habe. Woraufhin Campino frech und besoffen antwortete: „Einer von euch Idioten!“. Er wurde dann zur Arschkontrolle abgeschleppt.
Zurück in West Berlin, tauchten Dave Rimmer und ich danach in das Westberliner Nachtleben ab und gingen erst zu einer Party in einer S-Bahn-Station und endeten dann im Metropol, das war in jenen Tagen der größte Schwulenclub Europas. Wir tanzten die Nacht bis in den Morgen durch. So eine Palette an Berliner Musikkultur erlebte man selbst damals nie an einem Tag. Das war unvergesslich!

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Russian Barracks, Karlshorst, 1986 (Quelle: Mark Reeder)

 

 

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