Quo Vadis Ebertplatz? – Meryem Erkus von Gold+Beton im Gespräch

“Wir holen uns den Ebertplatz auf jeden Fall zurück!”

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“Mit uns wurde ein neuer Schwall an jungen Menschen auf den Platz gespült.” (Meryem Erkus)

“Wir wurden von der Verwaltung eingeschüchtert, die Mischung und Koexistenz am Platz weiter zu fördern, Kommunikation und Zwischen-Menschlichkeit blieben auf der Strecke” 

Es mutet wie ein Schildbürgerstreich an, was sich derzeit am Kölner Ebertplatz abspielt. Ohne mit den Galerien, Gewerbebetrieben und Gastroeinrichtungen vor Ort zu kommunizieren – und auch ohne wirklichen Dialog mit Kulturamt und Politik – entscheidet sich die Kölner Stadtverwaltung gegen die größte Off-Kulturfläche der Stadt. Es ist gar die Rede davon, die vier Zugänge zum Platz zuzumauern.
Man kommt gar nicht umher, das, was sich hier abspielt als Offenbarungseid der Stadt Köln zu interpretieren. Statt das integrative Potential der Kultur vor Ort sinnstiftend für einen deeskalierenden Dialog zu nutzen, sollen alle schnell weg und der Platz abgewickelt werden.

Kaput im Gespräch mit Meryem Erkus, der Mitbetreiberin des Gold+Beton (der Heimat unserer vom Kulturamt der Stadt Köln geförderten “Köln ist Kaput”-Reihe), die sich zu den Ereignissen bereits mehrfach auf ihrer Facebook-Seite geäußert.

Fun

Meryem Erkus

Meryem, wann habt ihr mit dem Gold+Beton angefangen? Und was war die Grundintention – ihr habt zum damaligen Zeitpunkt ja bereits die Baustelle Kalk gemacht.
GOLD+BETON habe ich im Sommer 2013 gegründet. Meine Grundintention war ganz eindeutig: Ich wollte einfach schon immer etwas am Ebertplatz starten, seit ich das erste Mal auf einer Eröffnung in der Boutique (heutige Tiefgarage) war. Die Genialität dieser verloren geglaubten Freiheit, die total abstruse Architektur und ein absolut markanter Charakter haben mich sofort in den Bann gezogen. Ich habe mir zwei Mitstreiter* ins Boot geholt (Vera Drebusch und Andreas Rohde) und im Handumdrehen waren wir der neue heiße Scheiß in der Kunst- und Partyszene.
Dass die Baustelle bereits existierte, hatte mit der Entscheidung eigentlich nix zu tun. Die beiden Projekte waren in ihrer Auslegung schon sehr unterschiedlich.

Wie würdest du denn die damalige Situation am Ebertplatz rückwirkend beschreiben?
Die damalige Situation war relativ aufregend und natürlich auch manchmal anstrengend. Aber egal ob wir Parties hatten oder Ausstellungen eröffneten: wir haben uns nie unsicher gefühlt. Mit uns wurde ein neuer Schwall an jungen Menschen auf den Platz gespült. Früher gab es zum Beispiel wohl Auflagen der Stadt (hearsay!) an die beiden afrikanischen Bars links und recht von uns, zum Wochenende ein privates Sicherheitspersonal einzustellen. Jeden Freitag und Samstag standen zwei Securities genau zwischen den beiden Bars, also quasi direkt vor unserem Laden. Es war immer total absurd, wenn wir mit 200 Menschen dort gefeiert haben und dazwischen hält Sicherheitspersonal die beiden Lager auseinander. Mit unserem Kommen hat sich zwischen den Gästen beider Bars anscheinend eine spürende Neutralität eingespielt, so gab es circa 6-9 Monate nach unserer Eröffnung plötzlich kein Sicherheitspersonal mehr zwischen uns, und es ist trotzdem nicht zu mehr Aggressionen oder Gewalt gekommen. Im Video (Video1) – das hauptsächlich den Sommer 2013 zeigt – kann man erkennen, wie weit wir mit unseren Aktionen und unserem offenen Raum – der sich am liebsten wie ein Jugendzentrum für kunstaffine (junge) Erwachsene verstehen würde – gehen konnten. (Stichwort: Discokugel, Tischtennisplatte und ähnliches)

Wie hast du denn die Entwicklungen der letzten Zeit wahrgenommen? Gibt es da rückblickend verschiedene Stadien zu konstatieren? Und wie bewertest du das Verhalten / Vorgehen der verschiedenen Akteure vor Ort?
Nach zwei sehr tollen und abwechslungsreichen, aber vor allem weitestgehend friedlichen Jahren dort unten in der Passage, hat sich im Frühjahr 2016 einiges verändert. Nach dem Wechsel des Polizeipräsidenten als Reaktion auf die Silvesternacht ’15/’16 wurde am Hauptbahnhof mit ganz großen Gesten die Dom-Umgebung „gesäubert“ von Drogenhändlern. Diese Vertreibungstaktik heilt – oh Überraschung – natürlich nicht die Symptome, sondern verlagert das Problem einfach zum nächstmöglichen Standort, in diesem Fall war es unter anderem der Ebertplatz.
Ungefähr zur gleichen Zeit und unabhängig davon, wurden wir vom Liegenschaftsamt zu einem Treffen zitiert, in dem uns ganz unmissverständlich verboten wurde, zukünftig den öffentlichen Platz zu nutzen. Es ging tatsächlich soweit, dass uns eine „gelbe Karte“ erteilt wurde, die, sollte es sich doch wiederholen, die direkte Kündigung aller drei Räume zur Folge hätte (Tiefgarage, BRUCH&DALLAS und GOLD+BETON sind als Brunnen e.V. Hauptmieter aller drei Objekte) – „In Ihren Räumen können Sie machen was Sie wollen, aber Sie mieten nicht die Außenfläche.“
Es war natürlich eine Farce für uns, zu beobachten, dass Privatpersonen dort augenscheinlich tun und lassen können was sie wollen (Drogendealen, Hitlergrüße und so weiter) und wir, nur weil wir auch Mieter vor Ort sind, den Platz nicht mehr für uns einnehmen können. Regeln sind Regeln bekommt man zu hören und die wenigen Sonder-Genehmigungen, die wir gefordert haben, mussten aufwendig und lange im Voraus beim Ordnungsamt beantragt werden (und kosten Geld!). Wir wurden also so gesehen von der Verwaltung eingeschüchtert, die Mischung und Koexistenz am Platz weiter zu fördern, Kommunikation und Zwischen-Menschlichkeit blieben auf der Strecke, und wir waren gezwungen, das Präsentieren unserer teils abstrakter Kunst- und Musik-Konzepte wieder zurück in unsere Kämmerchen zu ziehen.
Die Stimmung hat sich seitdem zunehmend verschlechtert und wir haben uns währenddessen an den neuen Status Quo (in unseren eigenen vier Wänden bleiben zu müssen) gewöhnt. Seit ein paar Wochen eskaliert es nun teilweise immer öfter: Mehr Aggressionen, Fightereien untereinander, durch die man nicht durchsteigt, weirde Pfefferspray Aktionen und und und. Die Drogen, die vor Ort angeboten werden, scheinen sich ebenfalls geändert zu haben. Statt chillige Gras-Dealer wird nun zum Beispiel auch immer öfter Koks angeboten – klar dass da die Stimmung in eine ganz andere Richtung kippt. Wir als Kunsträume haben einfach nicht mehr Ressourcen (Geld, Personal) öfters vor Ort zu sein, mehr Veranstaltungen zu machen, präsent zu sein. Es ist ohnehin ein ehrenamtlicher Vollzeit-Job für viele von uns. Im GOLD+BETON bin ich zur Zeit beispielsweise eine absolute One-Woman-Show. Das zerrt schon sehr auf Dauer und es gibt faktisch einfach wenig Luft nach oben.

Wie wurdet ihr von den Nachbarn vor Ort aufgenommen – damit meine ich durchaus alle, also die institutionalisierten wie auch die temporären.
Da gibt es eigentlich nix besonderes zu berichten. Wir sind die Nachmieter eines Kunstraumes gewesen. Alle da unten wissen ja Bescheid, was in unseren Räumen passiert. Man freut sich auf Action, andere Gesichter, komische Konzerte oder unverständliche Kunst. Es wird einfach so individuell aufgenommen, wie Menschen nun mal sind – I don’t know… unsere Gäste sind entspannt und wollen Peace und Austausch, deshalb kommen wir alle untereinander immer irgendwie klar.

Gab es denn einen Dialog zwischen den verschiedenen Fraktionen am Platz? Habt ihr Schnittmengen empfunden? Gab es Konfliktlinien?
Na wir sind Nachbarn und teilen uns einen Platz, natürlich gibt es Dialog und Schnittmenge. Mesfun vom Portico Copyshop war immer unser Bürgermeister. Sam im African Drum hat oft den härtesten Job, weil bei ihm sich der eine oder andere Freak einfach zu wohl fühlt – alle haben schwer mit der jetzigen Situation zu kämpfen. Wir hoffen, dass die Stadtsprecherin die Wahrheit sagt und ein finanzieller Ausgleich stattfinden wird. Da ich in den letzten Tage leider nicht in der Stadt war, konnte ich allerdings noch mit niemanden der anderen Parteien reden.

Kunsthalle Ebertplatz by Jonathan Haehn

Kunsthalle Ebertplatz by Jonathan Haehn

Die Stadt hat nun in Reaktion auf die tödliche Messerstecherei am 14. Oktober und in Absenz einer wirklichen eigenen Strategie den Platz quasi aufgegeben und allen Institutionen vor Ort die Kündigung ausgesprochen. Wie lief das denn konkret ab?
Dem Labor wurde die Kündigung telefonisch angekündigt. Ebenso bei uns. Wir warten momentan auf die Schreiben. Das Liegenschaftsamt hätte uns am liebsten sofort raus gehabt und scheinbar hat Stadtdirektor Keller (wenn denn nun ihm die Verantwortung zugeschrieben werden kann) nicht damit gerechnet, dass wir auf unser Recht bestehen werden und – wenn überhaupt – nur eine fristgerechte Kündigung für uns in Frage kommt. Wir sind schon ganz gespannt, was in der Kündigung stehen wird. Die Notwendigkeit der Kündigungen wird jetzt ja laut OB Reker nochmal überprüft. Wir haben schon von vielen befreundeten Kollegen und Kooperationspartnern 100%ige Unterstützung zugesagt bekommen und hoffen, dass die endgültige Entscheidung nicht gegen ein so hohes öffentliches Interesse fallen wird.
Wir reden schon seit Langem darüber, dass sich die Ebertplatzpassage in ihrem Charakter und ihrem Aussehen perfekt für eine Kunsthalle eignen würde. Es ist doch immer noch ein Absurdum, dass Köln – … KÖLN! – keine Kunsthalle besitzt. Es ist schauderhaft und etwas bäuerlich. Wenn wir die Schließung der öffentlichen Fläche nicht verhindern können, dann fordern wir zumindest: baut ein Schloss ein und gebt uns den Schlüssel.
Der Architekt Jonathan Haehn hat eine solche Idee mal ganz grob visualisiert. Wir hoffen in den nächsten Tagen in direkten Dialog mit der Stadt zu kommen und lassen uns nicht daran hindern, uns richtig laut an den Entscheidungen teilnehmen zu lassen. Wenn wir nochmal übergangen werden, könnte es ungemütlich werden! Wenn hirnrissige „Lösungen“ so radikal und reaktionistisch umgesetzt werden, gibt es eine so breit gefächerte Öffentlichkeit – über die Ländergrenzen hinaus – die Widerstand leisten wird. Wir leben in der Stadt. Wir leben und arbeiten dort. VOR ORT. Wir sind auch die Anwohner* – von uns wird nur nie gesprochen, wenn die Presse wieder und wieder das gleiche schreckliche Bild von Angstraum und NoGo Area malt, dass jede/r Bürger*in meint zu WISSEN wie es dort ist. Wir holen uns auf jeden Fall den Ebertplatz zurück! Köln ist woke: #reclaimebertplatz

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